Anker für die Obdachlosen

Stephan Karrenbauer

An die Obdachlosen hat man sich auch in Hamburg gewöhnt. Was Hinz & Kunzt als soziales Projekt für die Stadt und die Obdachlosen leistet, und warum sie eng mit den Gewerkschaften zusammenarbeiten, beschreibt der Sozialpädagoge und politische Sprecher des Straßenmagazins hier selbst.

von Stephan Karrenbauer

Zu Beginn, vor 20 Jahren, wollten wir Hamburgs Obdachlosen nur eine Möglichkeit bieten, etwas Geld zu verdienen und so wieder neues Selbstbewusstsein zu gewinnen. Wir dachten, das genüge, um eine Ausstiegschance von der Straße zu bieten. Aber es reichte natürlich nicht. Inzwischen hat Hinz & Kunzt zwei Sozialarbeiter, einer von ihnen bin ich. Und wir sind deutlich politischer geworden. Die Straße ist wie ein Frühwarnsystem für gesellschaftliche Missstände. Wir verstehen uns als konsequente Lobbyisten der Ärmsten in unserer Stadt. Schon immer haben wir uns zur Wohnungslosenpolitik geäußert und scharf protestiert, wenn Menschen verdrängt werden sollten. Beispiele aus der jüngsten Zeit sind unsere Stellungnahmen zur akuten Wohnungsnot, zur Situation unter der Kersten-Miles-Brücke, zum Bettelverbot oder zum Trinkverbot auf öffentlichen Plätzen. Inzwischen bewegen uns aber auch immer mehr Themen, die auch die Gewerkschaften beschäftigen. Dazu gehört die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn, von dem die Menschen auch leben können.

Denn Menschen mit Brüchen im Leben, zu denen ehemals Obdachlose oft gehören, bekommen meistens keinen Job, und wenn sie einen bekommen, werden sie oft ausgebeutet. Deswegen legen wir immer häufiger unser Augenmerk auf Arbeitsbedingungen. Seit 2007 gibt es zum Beispiel unseren Hotelreport, bei dem wir rund 200 Hotels unter die Lupe nehmen und sie nach dem Umgang mit ihren Zimmermädchen und deren Bezahlung befragen. Und wir bleiben am Ball, wenn osteuropäische Billiglöhner auf Baustellen mit einem Hungerlohn abgespeist werden. Wir glauben - wie die Gewerkschaften -, dass diese Solidarität allen zugute kommt: Nur wenn wir Dum-pinglöhne unterbinden, werden alle von ihrer Hände Arbeit leben können.

Jedes Jahr eine Zitterpartie

Dass wir uns politisch so unabhängig äußern können, liegt vor allem daran, dass wir keinerlei öffentliche Zuschüsse bekommen. Die Kehrseite: Wir müssen unser Jahresbudget von rund 1.000.000 Euro aus dem Verkauf des Straßenmagazins und aus Spenden bestreiten. Auch wenn wir sehr treue Spender und Freunde haben: Jedes Jahr ist es wieder eine Zitterpartie, ob wir das Geld tatsächlich zusammenkriegen.

Der Kern unserer Arbeit ist nach wie vor die Herstellung und der Vertrieb des Straßenmagazins. Dabei wird der Vertrieb fast ausschließlich von ehemaligen Verkäufer/innen von Hinz & Kunzt bestritten.

Wir Sozialarbeiter helfen den rund 500 Hinz & Künztlern bei der Wohnungssuche und beraten bei Suchterkrankungen und sozialen Problemen. Zudem haben wir einen Tages-Aufenthaltsbereich, in dem Kaffee und Tee ausgegeben werden, mittags beliefert uns die Hamburger Tafel. Die Vertriebsmitarbeiter organisieren für ihre Kollegen von der Straße Skatturniere, Fußball, Bowling, einen Filmabend oder ein gemeinsames Essen.

Ehernes Gesetz dabei: In unseren Räumen wird weder getrunken noch gefixt. Hier bekommen Abhängige die Chance, ihre Gedanken um andere Themen als ihre Sucht und die Beschaffung der Suchtmittel kreisen zu lassen.

Jede/r Verkäufer/in der Hinz & Kunzt muss die deutsche Sprache zumindest in Grundzügen beherrschen. Er muss sich auf unsere Regeln für den Verkauf verpflichten und bekommt dann einen Verkäufer/innenausweis. zehn Zeitungen bekommt er/sie als Startkapital kostenlos, die weiteren muss er/sie kaufen, zahlt aber nur 90 Cent vom Verkaufspreis in Höhe von 1,90 Euro. Für viele ist das der Einstieg in einen geregelten Alltag, sozusagen der Start als Kleinunternehmer mit Verantwortung für das eigene Einkommen. Wer dabei bleibt, kann in kleinen Schritten den Ausstieg aus der Obdachlosenszene schaffen und wieder Fuß fassen. Das geht aber nur, wenn die Politik mitspielt und wir genügend Wohnraum und Jobs haben.

An der Zusammensetzung unseres Verkäuferstamms sehen wir, wie sich unsere Gesellschaft im Laufe der Jahre verändert hat. Als wir 1993 anfingen, gab es gerade noch den klassischen Berber, der von Stadt zu Stadt zog. Aber es dominierte schon der "sesshafte Obdachlose", der arbeitslos geworden war und seine Wohnung verloren hatte, aber eigentlich wieder einsteigen wollte. Viele hatten und haben Alkohol- oder Drogenprobleme. Viele kamen aus anderen Städten in Deutschland, viele versprachen sich nach der Wende hier wieder einen Neustart.

Inzwischen sind unsere Hinz & Künztler internationaler und immer jünger geworden. Viele Polen sind auf der Suche nach Arbeit gescheitert und auf der Straße gelandet. Ganz neu sind Männer und Frauen aus Bulgarien und Rumänien, oft Roma, die in ihren Herkunftsländern ausgegrenzt werden. Als Verkäufer/innen von Hinz & Kunzt schaffen sie es sogar, ihre Familien finanziell zu unterstützen. Für sie ist das Leben hier immer noch die bessere Alternative.

Besonderes Kopfzerbrechen macht mir die steigende Zahl junger Menschen unter 25, die ohne Geld auf der Straße landen. Im Hartz-IV-System werden sie zu 100 Prozent sanktioniert, wenn sie Maßnahmen nicht antreten. Viele kommen aus Familien, die ebenfalls im Hartz-IV-Bezug stehen. Wenn eine 20-jährige, obdachlose Frau schwanger vor mir steht, gerate selbst ich als erfahrener Sozialarbeiter an die Grenzen meiner Möglichkeiten. Dann wird es umso wichtiger, sich Träume und Visionen zu erhalten. Wir legen seit einigen Jahren das Geld zur Seite, das wir aus Erbschaften erhalten haben. Wir möchten damit ein Haus mit Wohnungen für Obdachlose bauen, unten soll unsere Geschäfts- und Beratungsstelle einziehen. Ich möchte die Einweihung noch erleben, bevor ich in Rente gehe.

Spendenkontakt: Hinz & Kunzt

Konto 1280 167 87, BLZ 200 505 50 bei der Hamburger Sparkasse

Mehr Infos zu Hinz & Kunzt unter www.hinzundkunzt.de