ELLEN PASCHKE ist im ver.di-Bundesvorstand zuständig für Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen

ver.di PUBLIK | In Hessen wurde vor sechs Jahren das erste Uniklinikum durch den Klinikkonzern Rhön privatisiert. Jetzt drohen den Beschäftigten erneut weiterer Stellenabbau und Ausgliederungen, insbesondere im nichtärztlichen Bereich. Ist das ein typisches Vorgehen bei privatisierten Krankenhäusern?

Ellen Paschke | Ja. Der eigentliche Grund, dass Krankenhäuser privatisiert werden, ist, dass die Länder ihren Investitionsverpflichtungen nicht nachgekommen sind. Also muss man erst mal viel investieren, wenn man ein Krankenhaus übernimmt. Das Geld muss irgendwo wieder reinkommen.

ver.di PUBLIK | Trotz der hohen Investitionen möchte Helios mit seinen Krankenhäusern eine Rendite von 15 Prozent erzielen. Wie kann das gehen?

Paschke | Das geht nur auf dem Rücken der Beschäftigten. Wir sind heute in Deutschland so weit, dass man bei den Ärzten nichts mehr abbauen kann. Bei der Pflege hat man inzwischen so viel Personal abgebaut, dass man da auch nichts mehr abbauen kann, ohne in den Bereich der gefährlichen Pflege zu gehen. Da die Personalkosten den höchsten Kostenanteil in einem Krankenhaus ausmachen, trägt man das auf dem Rücken der anderen Beschäftigten aus. Nur wenn man diese Beschäftigten in Servicegesellschaften in den Niedriglohnsektor ausgliedert, kann man eine Rendite von 15 Prozent erwirtschaften.

ver.di PUBLIK | In diesen Servicegesellschaften arbeiten aber auch Beschäftigte, die OP-Säle oder medizinische Geräte reinigen. Führen Einsparungen hier nicht auch zu gefährlicher Pflege?

Paschke | Es gibt dazu eine Studie aus England. Sie besagt, dass ein größerer ökonomischer Schaden entsteht, wenn man mit schlechten Hygieneleistungen in die Schlagzeilen gerät. Doch das scheint die Krankenhausarbeitgeber alle nicht zu interessieren. Aber man muss auch ganz eindeutig sagen, dass öffentliche Krankenhäuser ebenso ausgliedern und Tochtergesellschaften gründen. Sie machen das zwar nicht in dem Maße und nicht so brutal wie einige Großkonzerne, aber diese Ausgliederungen finden insgesamt im Gesundheitswesen statt.

ver.di PUBLIK | Bedeutet das, dass mit Privatisierungen auch der Druck auf öffentliche und gemeinnützige Krankenhäuser wächst, ebenfalls Gewinne zu erzielen?

Paschke | Der Druck auf die öffentlichen Krankenhäuser entsteht dadurch, dass Gelder für notwenige Investitionen nicht mehr fließen. Sie wollen keine Rendite erzielen, sondern Mittel freischaufeln, um in Großgeräte oder Bauten investieren zu können. Mir wird immer unterstellt, dass ich grundsätzlich gegen Privatisierungen sei. Davon ist ver.di schon vor langer Zeit abgerückt. Mir liegt sehr am Herzen, dass wir in Deutschland eine Trägervielfalt erhalten: öffentliche, freigemeinnützige und private Krankenhäuser. Die Politik muss sich jetzt aber Gedanken über Regelungen machen, damit die Privaten nicht die Überhand gewinnen.

ver.di PUBLIK | Im privaten Bereich sind inzwischen große Konzerne entstanden. Ist das die Zukunft des Gesundheitswesens?

Paschke | Die öffentlichen und die kirchlichen Häuser haben nur eine Chance, wenn sie regionale Verbünde schaffen. Das finde ich auch vernünftig. In Schleswig-Holstein haben die sechs kommunalen Krankenhäuser einen Verbund geschaffen, auch in Hessen gibt es ähnliche Beispiele. Das Problem ist nur: Wenn kommunale Krankenhäuser regionale Verbünde schaffen wollen, steht das Kartellrecht dagegen. Darum bin ich der Auffassung, dass hier in Zukunft das Kartellrecht geändert werden muss. Zurzeit muss im Umkreis von 30 Kilometern ein anderes Krankenhaus als Anbieter zur Verfügung stehen. Bei regionalen Verbünden liegen die einzelnen Krankenhäuser meist nicht weit genug auseinander.

ver.di PUBLIK | Welche Folgen hat die Privatisierung für die Beschäftigten?

Paschke | Wegen der Unterfinanzierung der Krankenhäuser und des Investitionsstaus ruht das ganze Gesundheitswesen auf den Schultern des Personals. Die Beschäftigten müssen alles ausbaden. Millionen von Überstunden werden in deutschen Krankenhäusern vor sich hergeschoben. Dass das ganze Gesundheitswesen im Interesse der Patientinnen und Patienten überhaupt noch funktioniert, ist einzig und allein den Beschäftigten zu verdanken. Da, wo die Renditeerwartungen höher sind, gibt es auch einen höheren Druck auf das Personal. In den privaten Häusern wird im Vergleich zu öffentlichen weniger Personal beschäftigt. Das macht den Arbeitsdruck hier noch mal ein Stück größer. Aber man muss auch sagen, dass die Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten in allen Häusern, egal ob öffentlich, kirchlich oder privat, grottenschlecht sind im Moment. Das kann so nicht weitergehen.

ver.di PUBLIK | Was kann ver.di dagegen tun?

Paschke | Wir wollen unter dem Stichwort "Gute Arbeit" gemeinsam mit den Beschäftigten schauen, wie wir möglicherweise auch über einen Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten in den Krankenhäusern verbessern können, und zwar trägerübergreifend. Das ist im Prinzip die einzige Möglichkeit. Die Arbeitgeber werden unter dem finanziellen Druck, unter dem sie stehen, nicht noch etwas freiwillig für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten tun. Da müssen wir als Gewerkschaft gemeinsam mit den Beschäftigten Druck ausüben und Fantasie entwickeln.

ver.di PUBLIK | Zeigt nicht das harsche Vorgehen der Arbeitgeber gegen Beschäftigte von Servicegesellschaften in Damp und Schwerin, dass sie kein Interesse daran haben?

Paschke | In den Servicegesellschaften arbeiten viele ausgebildete Kräfte, aber auch Hilfskräfte. Da denken die Arbeitgeber: Wenn eine Hilfskraft geht, finde ich auch wieder eine neue. Daher ist der Niedriglohnsektor der Bereich, über den Gewinne erwirtschaftet werden. Und wenn die Arbeitgeber dann mit uns einen Tarifvertrag abschließen, schmälert das ihre Gewinne, und das ist in großen Konzernen nicht gewollt. Aber nichtsdestotrotz sind die Beschäftigten nicht mehr bereit, das hinzunehmen. Mich beeindruckt es sehr, wenn die Menschen da stehen und sagen: Es geht uns um einen Tarifvertrag, aber es geht uns auch um unsere Würde. Die Arbeitgeber sollten das nicht unterschätzen.

INTERVIEW: Heike Langenberg

"Dass das ganze Gesundheitswesen im Interesseder Patientinnen und Patienten überhaupt noch funktioniert,ist einzig und allein den Beschäftigten zu verdanken"