Ausgabe 07/2012
Ein unsinniges Treiben
Wolfgang Uellenberg van Dawen ist Leiter des Bereichs Politik und Planung beim ver.di-Bundesvorstand
Menschen, die sich überschuldet haben, müssen sparen - das, so denkt die Mehrheit der Bevölkerung, gilt auch für Staaten. Darum hören sich selbst harte Sparauflagen für viele auch so vernünftig an. Übersehen wird aber: Um Schulden zurückzuzahlen, muss Frau oder Mann auch Arbeit haben und Geld verdienen. Und das ist die Kehrseite harter Sparprogramme. Europa ist ein gemeinsamer Wirtschaftsraum, in dem es starke und schwache Volkswirtschaften gibt: Deutschland ist ein wirtschaftlich starkes Land. Vor allem Industriegüter und industrienahe Dienstleistungen sorgen für hohe Überschüsse in der Handelsbilanz. 40 Prozent des Exportes gehen in die EU-Länder. Spanien, Italien, Griechenland, Frankreich und Portugal haben demgegenüber negative Handelsbilanzen, sie müssen importieren und sich weiter verschulden.
Fehlen die Einnahmen aus dem Export, so muss die Binnennachfrage dies ausgleichen. Genau das aber verhindern die rigiden Sparauflagen, die den sogenannten Schuldnerstaaten von der sogenannten Troika aus Europäischer Zentralbank, EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds auferlegt worden sind: Renten und Sozialleistungen werden gekürzt, Ausgaben für Bildung und Gesundheit massiv zurückgefahren, Investitionen gestrichen, öffentliches Eigentum wird zu Schleuderpreisen verkauft - und, was besonders gravierend ist, in Griechenland wurde die Tarifautonomie außer Kraft gesetzt. Wie in Griechenland wurde etwa auch in Irland der Mindestlohn gesenkt. In Spanien sollen Tarifverhandlungen nur noch auf betrieblicher Ebene stattfinden, in Italien wurde der Kündigungsschutz gelockert.
Bundesregierung, Bundesbank und die Schar der Neoliberalen in Wirtschaft und Medien nennen all das verharmlosend "Strukturreformen". Die Folgen dieser knallharten Einschnitte in den Sozialstaat und die Arbeitnehmerrechte sind für die Betroffenen und auch für die Wirtschaft katastrophal: Sinkende Erlöse aus dem Export, Schwächung der Massenkaufkraft, Kürzung des Staatshaushaltes - eine Abwärtsspirale wurde in Gang gesetzt, die Europa in ein noch größeres Ungleichgewicht treibt. "Sie sparen sich zu Tode", kritisiert der Wirtschaftswissenschaftler Paul Krugmann zu Recht. Die strikten Sparverdikte der Troika treiben nicht nur die Menschen in Not, sie würgen das Wachstum ab - wie es in Italien, Spanien, Griechenland, Portugal, Irland derzeit passiert. Und wenn das so weitergeht, wird auf Dauer auch Deutschland keine Insel der Glückseligen mehr bleiben. Denn in den europäischen Ländern, deren Bevölkerungsmehrheit gerade bitter verarmt, liegen auch die Kaufkraft und damit der Konsum am Boden. Schon geht auch der Export zurück, sinken die deutschen Wachstumsraten, melden Automobilhersteller wie Ford in Köln Kurzarbeit an.
In ihrem unsinnigen Treiben, durch Schuldenabbau den Zwängen der Kapitalmärkte entrinnen zu wollen, wie sie verkünden, haben sich die Regierungen erst recht tief in die strukturelle Abhängigkeit von jenen begeben, die auf den Kapitalmärkten das Sagen haben. Die Zeche zahlen die Arbeitslosen, die jungen Menschen, die, oft gut ausgebildet, keine Arbeit finden, die älteren, die von heute auf morgen ihre Arbeit verlieren, die Rentnerinnen und Rentner, die oft die Hälfte ihrer Alterseinkünfte verloren haben, die Kranken und die Armen, für die immer weniger Geld zur Verfügung steht.
Wenn das Sparen dazu führt, dass die Ungleichgewichte zunehmen, weil eben Staaten in Europa sich zu Tode sparen, dann ist ein Kurswechsel nötig. Dann braucht Europa zuerst einmal Wachstum und öffentliche Investitionen. Vor allem die überschuldeten Länder müssen mehr Geld und Unterstützung für öffentliche Investitionen in Bildung, Umwelt, neue Dienstleistungen, moderne Technologien, eine gute Infrastruktur und ein funktionierendes Staatswesen bekommen. Vor allem aber müssen die zahlen, die die Krise verursacht und befeuert haben - und die dank der großzügigen Bankenrettungen auf Kosten der Steuerzahler inzwischen wieder kräftig an der Krise verdienen. Die Krise ist keine Schuldenkrise - sie ist eine Einnahmekrise - eine Krise, die durch die systematische Umverteilung von Geld und Kapital auf die Finanzmärkte entstanden ist. Nicht allein die Regulierung, sondern die Austrocknung der Spekulation auf den Finanz- und Kapitalmärkten ist das Gebot der Stunde: Vermögenssteuer, Finanztransaktionssteuer, hohe Einkommensteuer, eine gerechte Besteuerung von Kapitaleinkünften. Die starken Schultern müssen mehr tragen, dann wird auch die Last der Schulden geringer - ohne dass jemand arm dabei wird.
Wenn das Sparen dazu führt, dass die Ungleichgewichte zunehmen, weil eben Staaten in Europa sich zu Tode sparen, dann ist ein Kurswechsel nötig