Wer ist eigentlich „wir“, wenn Frau Bundeskanzlerin behauptet, „wir“ hätten „über unsere Verhältnisse gelebt“? Wir können es uns vorstellen, wissen es aber nicht genau. Wenn das internationale Forum der Deutschen Bank alias Alfred-Herrhausen-Gesellschaft (AHG) seine vierte „Denk-ich-an-Deutschland“-Konferenz in Berlin unter der Fragestellung „Wie wollen wir in Zukunft (nicht) leben“ veranstaltet, wird das Rätsel „Wer ist wir“ zwar nicht direkt, aber doch hinreichend gelöst. Stargäste waren nicht etwa Menschen mit neuen Impulsen und Ideen, sondern Entscheidungsträger wie Jörg Asmussen, Direktor bei der Europäischen Zentralbank, und Bundeskanzlerin Angela Merkel, CDU. Seit der ersten Konferenz der aus Sorge um Deutschland um den Schlaf Gebrachten sind AHG-Geschäftsführer Wolfgang Nowak und die bevorzugt eingeladenen Professoren, Banker und Wirtschaftsjournalisten des Mitveranstalters FAZ bemüht, ihre Logik vermeintlicher Sachzwänge immer wieder neu zu verpacken. Gerne lästern sie über „Wutbürger“, die dagegen auf die Straße gehen. Im Atrium der Deutschen Bank schworen Merkel und Asmussen anno 2012 ein Publikum, das gut daran verdienen wird, auf harte Reformjahre ein. „Es ist nicht gesetzlich verankert, dass es bei uns so weitergehen wird wie seit 1949“, so die Kanzlerin, messerscharf analysierend, die Frage der Lohnkosten sei für die Wettbewerbsfähigkeit entscheidend, was so viel bedeutet wie: Lohndrückerei ist ein notwendiges Übel. „Sorgsam umgehen“ solle man mit „Menschen, die Ideen haben, etwas unternehmen und anderen Menschen Arbeit geben wollen“. Asmussen versprach „den Europäern“ ein Jahrzehnt der Reformen und der Anpassung. Es könne durchaus sein, dass zugunsten einer Fiskalunion die Verfassungen einzelner Mitgliedsstaaten geändert werden müssten. Deren Präambel hatte Entertainer Harald Schmidt kurz zuvor bereits mit seiner Rede vom „Kapitalismus mit eingebetteter Demokratie“ skizziert. Claudia Wangerin