September 2012: Arbeiterinnen der Myue- und Soe-Textilfabrik in Yangon fordern eine Lohnerhöhung

von Harald Bach

Thant Zin Oo hat seinen Kopf kahlgeschoren wie ein buddhistischer Mönch. Während aber Mönche in Birmas Alltag überall zu finden sind, ist Thant Zin noch eine Seltenheit in dem Land, das sich im Übergang von einer Militärdiktatur zu einer demokratischen Gesellschaft befindet: Der 30-Jährige ist Gewerkschafter.

Zum Gespräch in einem Café in der Hauptstadt Rangun kommt der hoch gewachsene junge Mann im weißen Hemd und einem dunkelblauen Longyi, dem Wickelrock, den Männer wie Frauen in Birma tragen. Er hat in Rangun Jura studiert, aber unter den Bedingungen der Diktatur die Arbeit in der Fabrik einem Job im repressiven Justizapparat der Junta vorgezogen.

Sich bei ihm zu Hause zu treffen, weit außerhalb von Rangun, oder gar in der Aung-Fliesenfabrik, in der Thant Zin arbeitet und eine Gewerkschaft gegründet hat, wäre für ihn zu riskant gewesen. "Mein Chef bedroht mich", sagt er ruhig. Einmal habe der Chef ihm schon gekündigt. "Aber als ich gegen die Kündigung klagen wollte, wurde ich wieder eingestellt", berichtet Thant Zin.

Das Selbstvertrauen wächst

Das ist das neue Birma. Die Bürger, die Arbeiter/innen, alle haben Rechte. "Anfangs haben sie gezögert, diese Rechte auch wahrzunehmen", sagt Myo Myo Myint, Verbindungsfrau der Friedrich-Ebert-Stiftung in Rangun. "Die Angst vor Repressalien sitzt tief, und auf den unteren Behördenebenen sind die Reformen noch nicht richtig angekommen." Doch die Birmanen würden zunehmend selbstbewusster. In Fabriken gründen sie die ersten Gewerkschaften, streiken für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen.

Gewerkschafter Thant Zin Oo

Unterstützung bekommen die jungen Organisationen von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die von der Militärjunta gehasst worden war. Auf die Frage, ob die ILO und die noch vom Militär abhängige Reformregierung jetzt beste Freunde seien, antwortet Ross Wilson in seinem ILO-Büro im 12. Stock des Traders Hotel in Rangun lachend: "Soweit würde ich noch nicht gehen, aber wir verstehen uns schon ganz gut." Den Spielraum der Gewerkschaften für Tarifverhandlungen schätzt der neuseeländische ILO-Experte für Gewerkschaftsgründungen noch als gering ein. "Denn durch die Wirtschaftssanktionen sind die Fabrikchefs oft nur Vertragspartner der eigentlichen Besitzer irgendwo im Ausland."

Ein anderes Hindernis ist die Unerfahrenheit der Arbeiter/innen, wenn es um Gewerkschaftsarbeit geht. Myo Myo Myint sagt: "Früher gab es in Birma eine starke Gewerkschaftsbewegung. Doch nach dem Militärputsch von 1962 waren Gewerkschaften 50 Jahre lang unbekannt." Ein Schwerpunkt der Arbeit der ILO und der Friedrich-Ebert-Stiftung in Birma ist es daher auch, Arbeiter/innen zu informieren und auszubilden. "Capacity Building", sagt Ross Wilson. Bedarf und Interesse sind groß. Zu einem ILO-Workshop über Tarifverhandlungen und Gewerkschaftsgründungen erschienen im Sommer mehr als 300 Interessierte, meist Frauen. Das liege an den vielen Textilfabriken in Rangun, so Wilson.

Das große Ziel: Mindestlohn

Die Zusammenarbeit der bereits mehr als 200 gewerkschaftlichen Betriebsgruppen ist noch schwierig. Thant Zin hat zwar neuerdings ein Handy, aber das kann sich bei Kosten von mehr als 200 Dollar für eine Simkarte kaum jemand leisten - bei einem Lohn von ca. 70 Dollar für eine Sechstagewoche inklusive Überstunden. Von Computern und Internet können die meisten Beschäftigten nur träumen. Zu Treffen mit anderen Gewerkschaftern ist Thant Zin nach der zwölf-Stunden-Schicht in der Fliesenfabrik oft stundenlang mit dem Fahrrad unterwegs.

Thant Zin war von 15 Gewerkschaftsgruppen als ihr Mann für die Jahreskonferenz der ILO in Genf gewählt worden. An der Konferenz nahm auch Aung San Suu Kyi teil. In ihrer Rede vor den Delegierten forderte Birmas Oppositionschefin, es sollten nur solche ausländischen Investoren in Birma akzeptiert werden, die "internationale Arbeitsrechtsstandards und Umweltverantwortung" übernehmen und durch ihre Investitionen den Demokratisierungsprozess fördern würden. Aung San Suu Kyi hat sich in Genf mit den jungen Gewerkschaftern aus ihrer Heimat getroffen, auch mit Thant Zin. "Sie hat mir gesagt, sie würde mich anrufen, sobald sie wieder in Birma ist." Offenbar war die Friedensnobelpreisträgerin von ihm so überzeugt wie Ross Wilson, der den energischen Gewerkschafter als "intelligenten Mann mit Führungs- potential" beschreibt.

Manchmal jedoch möchte Thant Zin die Gewerkschaftsarbeit einfach hinwerfen. "Ich habe kein Privatleben mehr. Meine Freundin hat mich verlassen, weil ich keine Zeit für sie hatte", sagt er. Im gleichen Atemzug berichtet er über die nächsten Pläne seiner Organisation: "Wir werden im Herbst den ersten Gewerkschaftsverband auf Distriktebene gründen." Ein Ziel für Birmas ersten überregionalen Gewerkschaftsverband hat er auch schon: "Wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn."