Annemarie Keller, Karin Meinerz und Bettina Meeh (v.li.n.re.) haben jetzt ihren eigenen Laden

Sie haben das "P" im Namensschild Drehpunkt umgedreht und auch ihr eigenes Schicksal. Mitte November eröffneten Karin Meinerz, Bettina Meeh und Annemarie Keller den ersten Drehpunkt-Laden in Deutschland. Die Schlecker-Pleite hatte sie arbeitslos gemacht, jetzt haben sie ihren eigenen Drogeriemarkt. In Erdmannhausen, 30 Kilometer von Stuttgart entfernt. In einer Dorfidylle, umgeben von Feldern und kleineren Ortschaften.

"Anton Schlecker hat sein Geld gemacht", sagt die 47-jährige Verkäuferin Bettina Meeh und ist noch immer wütend. Sie und die 57-jährige Annemarie Keller waren bei der ersten Entlassungswelle Ende Juni dabei. Im Januar 2012 hatte der Einzelhandelskaufmann Anton Schlecker, einst Deutschlands Drogeriekönig, Insolvenz angemeldet. Noch 2008 hatten europaweit mehr als 14.000 Filialen mit 50.000 Mitarbeiter/innen einen Jahresumsatz von über 7 Milliarden Euro gemacht. Innerhalb von vier Jahren hatte der Kaufmann schließlich sein Unternehmen abgewirtschaftet. Die dritte im Bunde, Karin Meinerz (52), verlor im August ihre Arbeit. "Bis zum bitteren Ende habe ich die Waren ausverkauft."

"Wer nimmt uns denn schon noch? Frauen um die Fünfzig? Wir haben alles Blau abgekratzt. Schlecker ist Vergangenheit. Das hier ist unsere Zukunft"

Die Aussicht auf einen neuen Job war gering. "Wer nimmt uns denn noch? Frauen um die Fünfzig?" Für einen Moment schaut Karin Meinerz in die Ferne. Das Lächeln verschwindet von ihrem sonst so fröhlichen Gesicht. Schon im nächsten Moment schiebt sie die Ärmel wieder hoch und schaut sich um, was sie als nächstes tun kann. "Das hier ist unsere Zukunft", sagt sie.

Fast alles im grünen Bereich

Komplett renoviert haben sie den Laden. Aus einer aufgelösten Ihr-Platz-Filiale, die ebenfalls zum Schlecker-Imperium gehörte, kauften sie das Mobiliar. Die Ehemänner von Meinerz und Meeh, beide Lastwagenfahrer, besorgten zwei Fahrzeuge, bauten mit Freunden die Ladeneinrichtung ab und brachten sie nach Erdmannhausen. "Jedes einzelne Brett haben wir geschrubbt und die Regale wieder zusammengeschraubt", erzählt Bettina Meeh. Sie greift sich einen Stapel Preisschilder und beginnt sie in die vorgesehenen Plastik-Halterungen zu stecken.

Eine Kundin kommt herein und lobt: "Schön ist es hier geworden. Alles in frischem Grün." Karin Meinerz nickt. "Grün ist die Hoffnung." Das Schlecker-Blau haben die Verkäuferinnen überall abgekratzt - von den Scheiben mit Kochfeldreiniger. Sogar die Rollcontainer in den Gängen haben sie auseinandergebaut, um die blaue Kante zu entfernen. Nun ist alles blitzblank geputzt. Die Waren liegen millimetergenau nebeneinander in den Regalen, auf 188 Quadratmetern. "Nichts soll uns mehr an Schlecker erinnern. Das ist Vergangenheit", sagt Karin Meinerz.

Die Eröffnung ihres Drehpunkts musste immer wieder um ein paar Tage verschoben werden. Kurz vor dem tatsächlichen Eröffnungstermin sei dann die Kassensoftware ausgefallen. Ein befreundeter EDV-Fachmann sprang ein und brachte das System wieder zum Laufen. "Rein ehrenamtlich!" Zwei Regale stehen noch immer leer. Zuletzt blieb ein Lieferwagen liegen. "Ohne die vielen Probleme hätten wir es auch geschafft", sagt Bettina Meeh mit einem Augenzwinkern.

Immer wieder kommen Kunden in den Laden, fragen nach Kerzen und Kosmetikartikeln und müssen vertröstet werden. "Vielleicht heute Nachmittag. Die Sachen sind unterwegs." Dann verbreiten sie die gute Nachricht sogar im Internet auf Facebook: "Heute kommt endlich die fehlende Ware ... endlich! Ich wünsche allen Drehpunktläden die noch folgen, dass sie von unseren Anfangsschwierigkeiten verschont bleiben ..."

Tag und Nacht in Bereitschaft

So wie in der 5000-Seelengemeinde Erdmannhausen wollen es nun auch andere Ex-Schlecker-Beschäftigte machen. Bereits 15 weitere Genossenschaftsläden sind geplant. Der Name Drehpunkt sei ein "Kampfbegriff", sagt Christina Frank, ver.di-Gewerkschaftssekretärin in Stuttgart und die treibende Kraft hinter diesen gemeinschaftlichen Läden. Es gehe darum, die Nahversorgung zu stützen. In Frage kommen nur ehemalige Schlecker-Top-Filialen mit einem Umsatz von jährlich 500.000 Euro. Nur solche empfiehlt sie. Anfangs wollte Frank das Projekt auf den Südwesten beschränken. Inzwischen bekommt sie Anfragen aus ganz Deutschland. Um finanzielle Mittel für den Aufbau der Dorfläden zu sammeln, hat sie einen Treuhandverein gegründet und den Unternehmensberater Wolfgang Gröll ins Boot geholt. Er kennt sich mit der Gründung von Dorfläden aus, macht das seit 20 Jahren. "Ihn können wir Tag und Nacht anrufen", sagt Bettina Meeh. Ohne ihn und Christina Frank hätten sie ihren Drehpunkt jetzt nicht eröffnen können, da sind sich die Frauen einig.

Annemarie Keller steht hinter der Kasse. Ihre Stimme ist heiser. Sie zieht die schwarze Jacke mit dem grünen Drehpunkt-Logo enger um ihre zierlichen Schultern. Die Plackerei der letzten Wochen zeigt Spuren. Keller ist erkältet und kassiert trotzdem. Sie ist froh, die neue Arbeit zu haben, weil sie alleinerziehend ist. Die Tochter wohnt noch zu Hause, studiert. Sie selbst hat keine abgeschlossene Berufsausbildung. Zehn Jahre hat sie bei Schlecker gearbeitet, Karin Meinerz elf und Bettina Meeh 19 Jahre. Die Kinder von Meinerz und Meeh sind zwar aus dem Haus, aber die Eigenheime und andere Verpflichtungen sind nicht abbezahlt.

Kein Berufsabschluss, alleinerziehend, finanzielle Not. So geht es vielen ehemaligen Schlecker-Mitarbeiterinnen. Lediglich 9100 von 25.000 haben bis Ende November eine neue Arbeit gefunden.

In Erdmannhausen aber ist der Dorfladen schon jetzt ein Erfolg. Die Bürgerinnen und Bürger haben während der Renovierung Kaffee und Kuchen vorbeigebracht und im Rathaus gegenüber 50- und 100-Euro-Wertmünzen gekauft. Diese sogenannten "Stützli" wirken wie ein zinsloser Kredit, eine Methode, um genossenschaftlich geführte Läden zur Sicherung der Nahversorgung zu finanzieren. Die Münzen sind fälschungssicher, nummeriert und in Listen eingetragen. Wer sie kauft, bekommt eine Urkunde. 2015 kann man die runden Taler, die so aussehen wie zu groß geratenes Hartgeld, in Ware umtauschen. Die meisten werden das nicht tun, sie werden spenden, glaubt Karin Meinerz und streicht eine grüne Haarsträhne zurück, die sie sich extra zur Geschäftseröffnung färben ließ. An das Schleckerblau erinnert jetzt nur noch die blaue Türklinke am Eingang. An ihr ließ sich die Farbe nicht abkratzen. "Aber die kommt auch noch weg."

www.facebook.com/drehpunkterdmannhausen

Über die Hälfte ohne Job

25.000 Arbeitsplätze kostete die Schlecker-Pleite allein in Deutschland. Rund 23.400 der Entlassenen, überwiegend Frauen, haben sich laut Bundesagentur für Arbeit (BA) als arbeitssuchend gemeldet. Bis Ende November hatten nur 9 100 von ihnen laut BA wieder eine neue Beschäftigung. Nach ver.di-Erkenntnissen handelt es sich dabei fast ausschließlich um Teilzeitjobs, fast alle Stellen sind befristet und tariflich nicht abgesichert. Weit über die Hälfte der ehemaligen Mitarbeiter/innen ist noch ohne Arbeit. Viele der Frauen sind älter als 50 Jahre, viele alleinerziehend. Durch die Insolvenz stecken sie in großen finanziellen Nöten. Die in Stuttgart ansässige Paul-Schobel-Stiftung "Arbeit und Solidarität" will ihnen schnell und unbürokratisch helfen. In Zusammenarbeit mit ver.di hat sie den bundesweiten Stiftungsfonds "Schlecker-Frauen" eingerichtet. Das Spendenkonto lautet: 6402003, BLZ 75090300, Liga Bank. Wer möchte, kann auch online spenden: www.ligabank-spendenportal.de/caristif/schleckerfrauen.aspx

"Wer nimmt uns denn schon noch? Frauen um die Fünfzig? Wir haben alles Blau abgekratzt. Schlecker ist Vergangenheit. Das hier ist unsere Zukunft"

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