„Die Unternehmen legen die Axt an“

Stefanie Nutzenberger

ver.di PUBLIK | Was bedeutet die Kündigung aller Tarifverträge im Einzelhandel für die Beschäftigten?

STEFANIE NUTZENBERGER | Tarifverträge sind elementar für die Existenzsicherung und dienen als unverzichtbarer Schutzmechanismus für die Beschäftigten. Mit der Kündigung der Tarifverträge legt die Unternehmerseite die Axt an diese wesentlichen Schutzregelungen für die rund drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel. Mit ihrem Vorgehen versuchen die Händler, massive Verschlechterungen der Löhne und Arbeitsbedingungen durchzusetzen. Klar ist, dass ver.di sich mit den Beschäftigten entschieden gegen diesen Generalangriff zur Wehr setzen wird. Und das nicht zum ersten Mal: Die Gewerkschaftsmitglieder haben in den vergangenen Jahren in beispiellosen Streikmaßnahmen und Aktionen immer wieder für ihre Arbeitsbedingungen gekämpft. Gleichzeitig provoziert der Handelsverband Deutschland mit seinem Vorstoß Konflikte in den eigenen Reihen, denn genau betrachtet riskieren die Arbeitgeber ihre eigenen Interessen. Schließlich nützen Tarifverträge nicht einseitig den Beschäftigten, sondern sie schützen die Unternehmer davor, dass Schmutz- und Billigkonkurrenz im Einzelhandel überhand nimmt. Wir gehen davon aus, dass es durchaus vernünftige Unternehmen gibt, die um die Wirkung von Tarifverträgen auch für die Arbeitgeberseite wissen.

ver.di PUBLIK | Welche Gegenmaßnahmen sind geplant? Wie will ver.di die Arbeitgeber unter Druck setzen?

NUTZENBERGER | Zunächst informieren wir die Belegschaften auf Betriebsversammlungen über die Situation. Dazu gehört selbstverständlich auch die Klarstellung, dass Rechtsansprüche auf tarifliche Bezahlung nur Gewerkschaftsmitglieder haben und eine Nachwirkung nur für sie gilt. Selbst aktiv werden und sich zusammen mit anderen gegen Lohndumping und für gute Tarifverträge einsetzen, das wird aus meiner Sicht in diesem Jahr notwendiger denn je. Ich gehe davon aus, dass der Verlauf der diesjährigen Tarifrunde schon vor dem Auslaufen der Tarifverträge Aktivitäten notwendig machen wird. Ob und wann es zu Arbeitskampfmaßnahmen kommt, das entscheiden bei uns je nach Verhandlungsverlauf die regionalen Tarifkommissionen.

ver.di PUBLIK | Wird diese Auseinandersetzung über den Handel hinaus Auswirkungen haben?

NUTZENBERGER | Solidarität wird bei uns bekanntlich groß geschrieben. Deshalb bin ich sicher, dass wir von der Gesamtorganisation sehr stark unterstützt werden. Schließlich ist der Einzelhandel eine der größten und wichtigsten Branchen bundesweit, und die regionalen Flächentarifverträge haben eine immense Bedeutung auch für nicht tarifgebundene Unternehmen, denen sie als Basis und Richtschnur dienen. Für ver.di kann ich sagen, dass wir uns keinen Tarifdiktaten beugen werden. Wir - und damit meine ich nicht nur den Einzelhandel, sondern sämtliche Branchen unserer Gesamtorganisation - streiten mit allen verfügbaren Mitteln gegen Prekarisierung und Altersarmut, für gute und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen. Dabei haben wir in den letzten Jahren immer wieder gemeinsame Aktionen von Kunden und Beschäftigten gefördert. Auch daran werden wir anknüpfen. Die Sensibilität und Aufmerksamkeit für die Arbeitsbedingungen im Einzelhandel hat in der Bevölkerung spürbar zugenommen. Das haben die Arbeitgeber scheinbar vergessen. Wir werden sie nachdrücklich daran erinnern.

Interview: Andreas Hamann

"Wir streiten mit allen verfügbaren Mitteln gegen Prekarisierung und Altersarmut, für gute und gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen"