50 bis 60 Prozent der Eltern in den Ballungszentren suchen noch einen Kitaplatz für ihre Kinder

In kaum einem Bereich arbeiten inzwischen so viele Menschen wie in der Kinder- und Jugendhilfe. Im März 2012 waren dort 730.000 Menschen beschäftigt - mehr als in der Autoindustrie. Der wichtigste Grund ist ein vor fünf Jahren gefällter Beschluss der Bundesregierung: Ab August 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für ihre Unter-Dreijährigen.

Klar ist: Noch fehlen einige hunderttausend Plätze in den Kitas. Wie viele aber genau und wo, ist umstritten. Kommunalvertreter rechnen damit, dass 50 bis 60 Prozent der Eltern in den Ballungsräumen einen Kitaplatz suchen. Auch das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat seine Zahlen deutlich nach oben korrigiert, nachdem es die Wünsche frischgebackener Eltern erforscht hat. Familienministerin Kristina Schröder, CDU, kalkuliert hingegen mit etwa 40 Prozent in den Großstädten und 32 Prozent in ländlichen Regionen. "Das ist zurzeit Kaffeesatzleserei. Aber alles spricht dafür, dass der Bedarf wesentlich höher liegt, als die Bundesregierung annimmt", sagt Alexander Wegner von der ver.di-Bundesverwaltung.

Klagewelle droht

Die Kommunen rechnen mit einer Klagewelle, wenn Eltern ab August keinen Platz für ihren Nachwuchs finden. Viele Einrichtungen sind im Bau und sollen erst zum Stichtag öffnen. Doch das Ganze ist nicht nur ein räumliches Problem. "Es wird zunehmend schwierig, Personal zu finden", meint die Sprecherin der Stadtverwaltung Köln, Nicole Trum.

Das DJI hat ausgerechnet, dass für die benötigten Kitas 42.000 Erzieher/innen neu eingestellt werden müssten. Doch so viele gibt es nicht: Pro Jahr verlassen 21.000 Absolvent/innen die Fachschulen. Bisher entschied sich durchschnittlich ein Viertel von ihnen, nach der Ausbildung einen anderen Weg einzuschlagen. Schließlich verdient eine Erzieherin mit langer Berufserfahrung maximal etwa 2700 Euro brutto - und das bei physisch und psychisch anstrengenden Arbeitsbedingungen. "Eine solche Arbeit bis 67 durchzuhalten, geht fast nicht. Aber wir haben mit dem Beruf auch keine Alternative", sagt Ines Schläfke, Personalratsvorsitzende des Berliner Eigenbetriebs Nordwest.

Auch die jährlich inzwischen etwa 900 Hochschulabsolvent/innen können die absehbare Personallücke bei weitem nicht schließen. Die Bundesregierung setzt auf einen Zuwachs an Tagesmüttern und startete zwei halbherzige Initiativen, um das Desaster abzuwenden. So rückte sie ein paar Millionen Euro heraus, um mehr Männer für den Beruf zu gewinnen. Tatsächlich stieg deren Zahl. Doch eine Lösung des Gesamtproblems ist so nicht zu erreichen.

Es bleibt ein Flickenteppich

Darüber hinaus machte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen, CDU, nach der Pleite der Drogeriekette Schlecker im vergangenen Sommer den Vorschlag, arbeitslose Verkäuferinnen zu Erzieherinnen fortzubilden. Abgesehen von der Frage, ob die Betroffenen für den Beruf überhaupt geeignet wären, ist die Idee mit der bestehenden Rechtslage kaum vereinbar. Die schulische Erzieher-Ausbildung ist Ländersache und dauert drei Jahre - die Bundesagentur für Arbeit (BA) darf aber nur zweijährige Umschulungen finanzieren. Ein Quereinstieg ist deshalb nur möglich, wenn das Bundesland die Kosten für das dritte Jahr übernimmt. Außerdem sind die meist staatlichen Erzieherschulen nicht zertifiziert. Das aber ist eine zwingende Voraussetzung, damit die BA jemanden dorthin schicken kann. Zwar engagieren sich einige Bundesländer inzwischen in diese Richtung. "Aber das Ganze ist nach wie vor ein Flickenteppich und angesichts des großen Bedarfs viel zu wenig", klagt die Sprecherin der Bundesagentur für Arbeit, Ilona Mirtschin.

So ist absehbar, dass viele Eltern im August ihren Rechtsanspruch nicht werden einlösen können. Vertreter der Städte und Gemeinden versuchen, eine Lockerung der Vorschriften zu erreichen. Viele Erzieher/innen fürchten, dass die Gruppen vergrößert werden könnten und die Arbeitsbelastung weiter steigt. Das aber würde absehbar zum Bumerang, denn der Erzieher/innenberuf zählt zu denen mit der höchsten Burn-Out-Quote, wie eine Untersuchung der Techniker Krankenkasse belegt. "Außerdem ist schon unter heutigen Bedingungen der Bildungsauftrag der Kitas nicht umzusetzen. Dafür wäre eine Verdoppelung der Personalstärke nötig," so verdi-Mann Alexander Wegner. Und das ist kurzfristig nicht zu erreichen.