Ausgabe 02/2013
Ein Anfang ist gemacht
21.02.2013 Protestkundgebung im Rahmen der Tarifverhandlungen in Alsterdorf
Der Deutsche Evangelische Kirchentag findet in diesem Jahr in Hamburg statt, und zum ersten Mal gibt es dort ein Gewerkschaftsforum - unter anderem mit dem ver.di-Vorsitzenden Frank Bsirske auf dem Podium. Ist also im Verhältnis Kirche/Arbeitnehmer alles in bester Ordnung oder doch noch viel zu tun?
Eher letzteres, wenn man sich anschaut, was es bedeutet, bei Kirche, Diakonie oder Caritas zu arbeiten. Immerhin arbeiten über 30.000 Menschen in Hamburg bei den konfessionellen Sozialverbänden. Das bedeutet: 30.000 Menschen haben keine Betriebsräte, die sie in den Betrieben schützen - das ist über den Paragrafen 118 Betriebsverfassungsgesetz derzeit noch ausgeschlossen. Für sie gibt es - wenn überhaupt - nur Mitarbeitervertretungen mit deutlich weniger Rechten. Mehr als 60 Prozent dieser Beschäftigten haben keinen Tarifvertrag.
Bei der Caritas und in großen Teilen der Diakonie regeln die Arbeitgeber dies mit ihnen wohlgesonnenen Arbeitnehmern (unter Ausschluss der Gewerkschaften) allein mittels sogenannter Arbeitsvertragsrichtlinien. Jeweils unterhalb des branchenüblichen Tarifniveaus - entweder ist die Entlohnung geringer oder die Arbeitszeit höher, oder beides. Alle 30.000 Beschäftigte sind über die sogenannten Loyalitätsrichtlinien an einem Kirchenaustritt (und bei der katholischen Kirche auch an Scheidungen oder dem Bekennen zur Homosexualität) gehindert, da dies zur sofortigen Kündigung des Arbeitsverhältnisses führt. Das alles nennt die Kirche den "dritten Weg". Konfliktfrei und im Konsens. Dieser Konsens ist jedoch kein freier, sondern der Wille des Arbeitgebers. Sicher kann man sich sagen: Es muss niemand bei der Kirche oder den christlichen Sozialverbänden arbeiten. Doch sind gerade Diakonie und Caritas in den sozialen Berufen fast schon Monopolarbeitgeber. Da gibt es nicht mehr viel Auswahl.
Für ver.di ist klar – der "dritte Weg" ist ein Irrweg
Das alles geschieht im 21. Jahrhundert, im weltoffenen Hamburg. Die geschilderten Fälle (s. Kasten) sind allesamt in den letzten Jahren vorgefallen. Die Kirchen stützen sich dabei auf einen Artikel aus dem Grundgesetz - den Artikel 140 in Verbindung mit dem Artikel 137,3 Weimarer Reichsverfassung - der den Kirchen ein Selbstverwaltungsrecht einräumt. Die Kirchen sollten vom Staat nicht vorgeschrieben bekommen, wen sie als Priester oder Bischöfin weihen oder was sie predigen sollen. Hier sollten sie frei von staatlichem Einfluss sein. Doch im Laufe der Zeit haben die Kirchen dies immer freier interpretiert. Sie wollen alles, was sie irgendwie betrifft, selbst definieren und regeln, also auch alle Arbeitsbedingungen - natürlich ohne Eingriffe von Gewerkschaften. In den kirchlichen Mitarbeitervertretungsrechten kommen Gewerkschaften gar nicht erst vor. Das treibt so seltsame Blüten, dass etwa das katholische Marienkrankenhaus den gewerkschaftlich Aktiven dort und den ver.di-Hauptamtlichen jegliche gewerkschaftliche Betätigung und den Zugang verweigert hat. Das wird derzeit vor dem Arbeitsgericht Hamburg geklärt. Gegen diese antiquierten Regelungen von Kirche, Diakonie und Caritas hat ver.di geklagt. Das Bundesarbeitsgericht hat am 20. November 2012 hierzu eine Entscheidung getroffen, die einen Weg in die richtige Richtung eröffnet. In Hamburg haben sich die Beschäftigten im AGAPLESION Diakonieklinikum und im Albertinenkrankenhaus / Albertinenhaus einen Tarifvertrag auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes erstritten, noch vor dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Ein Anfang ist gemacht, weitere Schritte sind notwendig.
Dem Gewerkschaftsforum auf dem Kirchentag werden die Fragen also nicht ausgehen. Ist der dritte Weg noch verantwortbar? Legitimiert die formale Trägerschaft von Kirche die Suspendierung von zentralen Arbeitnehmerrechten? Ist die Unterschreitung von branchenbezogenen Tarifnormen nur deshalb kein Skandal, weil die Kirche der wirtschaftliche Träger ist?
Wer Interesse an diesen und anderen Fragestellungen hat, sollte sich den 4. Mai 2013, von 10.45 Uhr bis 12.15 Uhr, in der St. Georg Kirche, St. Georgs Kirchhof 19, 20099 Hamburg, vormerken.
Wolfgang Werner, Vertrauensmann und Mitglied im Fachbereichsvorstand Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen, erläutert, was der dritte Weg bedeutet: "Eine Sozialarbeiterin wird bei einer großen evangelischen Stiftung befristet beschäftigt. Nach zwei Jahren wird ihr eine unbefristete Stelle angeboten. Allerdings muss sie hierfür in die Kirche eintreten - obwohl sie keinerlei religiöse Bindungen hat, was der Arbeitgeber auch weiß. Zweiter Fall: Ein muslimischer Mann darf in einem konfessionellen Krankenhaus zwar die Flure putzen, aber nicht die Patienten versorgen. Ein nicht-christlicher Krankenpfleger ist nicht gewünscht. Dritter Fall: In einer katholischen Kindertagesstätte lässt sich eine Erzieherin scheiden und heiratet erneut. Ihr wird wegen Ehebruchs gekündigt."