Ausgabe 03/2013
Was anderswo undenkbar schien
Im Falle Zyperns birgt das EU-Rettungspaket Erstaunliches, selbst einen Eingriff in die Freiheit des Kapitalverkehrs
Lucas Zeise ist Publizist und Finanzjournalist
Nach Griechenland, Portugal, Irland und Spanien ist Zypern das fünfte Euro-Land, das sich auf dem internationalen Finanzmarkt nicht mehr ausreichend Kredit besorgen kann, um die alten Schulden zu bezahlen, und deshalb ein Hilfskreditpaket samt drastischen "Spar"-Auflagen von den anderen Euro-Ländern erhält. Zypern ist also kein Einzelfall, aber die Art und Weise, wie die Euro-Regierenden in diesem Fall mit dem von der Pleite bedrohten Kleinstaat umgegangen sind, hat schon etwas ganz besonders Ekelhaftes.
Seit Sommer vorigen Jahres hat die zypriotische Regierung, zunächst unter einem linken, seit den Wahlen im Februar unter einem rechten Präsidenten, mit der EU über ein Rettungspaket verhandelt. An einem Wochenende Mitte März kam dann ganz schnell ein Deal zustande. Eigentlich waren es zwei. Denn der erste Vertrag zwischen dem frisch gewählten, von Kanzlerin Merkel im Wahlkampf kräftig unterstützten rechten Präsidenten Zyperns, einem gewissen Nikos Anastasiades, und den Finanzministern der Euro-Länder war 24 Stunden nach seiner Verabschiedung Makulatur. Unter dem Druck der Straße kippte das kleine Inselparlament - einschließlich der Parteifreunde von Anastasiades und Merkel - den Beschluss von Brüssel. Der hatte unter anderem vorgesehen, dass alle Kunden der zyprischen Banken deren Schulden mit einer Abgabe von 6,75 Prozent auf ihre Guthaben bezahlen sollten, wodurch der Hilfskredit der Euro-Länder an Zypern statt 17 nur 10 Milliarden Euro betragen würde.
Gemessen am Umfang der Kredithilfen, die anderen Euro-Ländern zugesagt worden sind, sind 17 Milliarden Euro keine große Sache, gemessen aber an Zypern selbst, entspricht die Summe der Wirtschaftsleistung des Landes in einem Jahr. Die kleine Insel ist ganz wie das etwas größere Irland mit einem überdimensionierten Bankensektor geschlagen, der seit Ausbruch der Finanzkrise ohne Kredite von außen nicht überlebensfähig war. Irland erhielt im Herbst 2010 ein riesiges, von den anderen Euro- Ländern finanziertes Hilfskreditpaket. So hätte man auch im Fall Zypern verfahren können. Deutsche Innenpolitik verhinderte das. Im November vorigen Jahres wurde ein Papier des Auslandsgeheimdienstes BND in die Presse lanciert, demnach Zyperns Banken als Geldwaschanlage für superreiche, böse Russen fungieren. Tatsächlich parkten schwerreiche Russen viel Geld in Zypern, um heimische Steuern zu sparen, ganz so wie schwerreiche EU-Bürger und -Konzerne viel Geld in Irland parken, um Steuern zu sparen.
Hilfe für ausländische Banken ist in Deutschland höchst unpopulär. Hilfe für Russen noch viel mehr. An Zypern wurde herumgenörgelt. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble stellte öffentlich die rhetorische Frage, ob Zypern wirklich systemrelevant sei. So wurde in Regierungskreisen Deutschlands die Idee geboren und laut überlegt, ob man nicht die Sparer/Gläubiger der zypriotischen Banken an deren Rettung beteiligen sollte.
Und so geschah es. Was anderswo undenkbar erscheint, in Zypern wurde es durchgesetzt. Die Eigentümer, die Kreditgeber und die ganz gewöhnlichen Kontoinhaber der zypriotischen Geschäftsbanken werden zur Übernahme der Verluste der Banken herangezogen. Erst nach den massiven Protesten gegen die erste Übereinkunft wurden Guthaben bis zu 100.000 Euro von der Belastung ausgenommen. Die Verlagerung von Geldvermögen ins Ausland wird unterbrochen und reguliert. Schließlich wird eine der beiden großen Geschäftsbanken abgewickelt. Für Zypern ist dieses Ergebnis verheerend. Der Finanzsektor des Landes, neben dem Tourismus die wichtigste Branche, wird schnell und brutal gestutzt. Eine massive Rezession wird die Folge sein.
Im Rahmen der europäischen Innen- und Krisenpolitik vermittelt das Rettungspaket für Zypern aber Erstaunliches. Zunächst zeigt sich, wie rüde man mit Banken umgehen kann. Es zeigt sich ferner, wie einfach, schnell und unkompliziert eine Vermögensabgabe zu verwirklichen ist, die je nach Bedarf und politischem Willen die Reichen stärker belastet als die gewöhnlichen Bürger. Und es zeigt sich drittens, wie einfach man das Grundgesetz der EU, die Freiheit des Kapitalverkehrs ganz oder selektiv aufheben kann. All das war bisher undenkbar und völlig ausgeschlossen. Jetzt wird es in einem kleinen Land am Rande Europas ganz schnell und plötzlich Realität. Schließlich aber erweist sich im Falle Zyperns die deutsche Dominanz über die Eurozone und Europa nicht nur wie bisher als unsozial und ökonomisch schädlich, sondern auch als Willkürherrschaft.
"Es zeigt sich, wie einfach, schnell und unkompliziert eine Vermögensabgabe zu verwirklichen ist, die je nach Bedarf und politischem Willen die Reichen stärker belastet als die gewöhnlichen Bürger"