Die Menschen wehren sich gegen die Finanzpolitik. Landesweite Bündnisse gegen Kürzungen bei Bildung, Kultur und Wissenschaft

Anfang Juli protestierte das Bündnis in Halle

von Birgit Tragsdorf

Nach der Sommerpause wird es wieder Kundgebungen in Halle und in Magdeburg geben. Mit ihren Slogans "Wir! Sind Sachsen-Anhalt!", "Halle bleibt" und "5 vor 12" wehren sich Studierende, Beschäftigte der Hochschulen, Künstler/innen und ihr Publikum, Sozialarbeiter/innen, Lehrer/innen, Erzieher/innen und viele andere Menschen gegen die Kürzungsvorschläge der Landesregierung. Die versucht, den Haushalt ausschließlich durch Streichungen bei den Ausgaben zu sanieren, und das bei einer ohnehin schon strukturellen Unterfinanzierung vor allem der Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung, bei den Universitätskrankenhäusern und in der Kultur.

Die Kritik der Gewerkschaften und der landesweiten Bündnisse richtet sich vor allem dagegen, dass die schwarz-rote Landesregierung nicht in Erwägung zieht, etwas gegen die zu geringen staatlichen Einnahmen zu tun. Die Koalition zeigt keinerlei Perspektiven auf. Statt den demografischen Wandel als Herausforderung zu begreifen, malt sie ein Schreckensszenario für das Land.

Erhalt der Kulturlandschaft

Der von der Landesregierung einberufene Kulturkonvent in Sachsen-Anhalt hat seiner Auftraggeberin Empfehlungen für eine Kulturentwicklungsplanung an die Hand gegeben. Unter Leitung des Vorsitzenden des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann, haben Vertreter von Kultureinrichtungen, Träger, Künstler/innen, Parteien und Gewerkschaften ein Jahr lang daran gearbeitet. In dem Papier spiegeln sich nicht nur die besonders reichhaltige Kulturlandschaft des Landes und die Fragen nach Möglichkeiten zu deren Erhalt wider, es werden auch Fragen der demografischen Entwicklung, der finanziellen Möglichkeiten im Haushalt und der politische Wille zum Erhalt der Kultur betrachtet.

Der Kulturetat macht 0,85 Prozent des Landeshaushaltes aus. Mit dieser Summe ist kein Haushalt zu sanieren, aber in der Kultur kann man mit weiteren Kürzungen viel Schaden anrichten, argumentiert Olaf Zimmermann im Juli bei einem Gespräch mit der SPD-Landtagsfraktion und dem zuständigen Minister Stephan Dorgerloh. Der gründlichen Analyse des Konvents und den 163 Empfehlungen daraus folge die Landesregierung aber nicht, betont der Kultusminister - und düpiert damit den von der Regierung einberufenen Kulturkonvent. Dorgerloh hat im Kabinett den Kürzungsvorschlägen zugestimmt.

Im September soll ein Landeskulturkonzept vorgestellt werden, das bis zur Entscheidung im Landtag im November diskutiert werden kann. Der Spielraum, der den Landtagsabgeordneten bei der Abstimmung bei einem möglichen Fraktionszwang in einer großen Koalition noch bleibt, ist vermutlich gering.

Die Kulturschaffenden sehen die Kürzungen skeptisch - sieben Millionen Euro weniger für die Theater und Orchester des Landes ab 2014. Für die Theater in Eisleben, Halle oder Dessau und die Orchester geht es an die Existenz. Während das einwohnerschwächere Thüringen seine Theater und Orchester mit finanziellen Zuweisungen und Verträgen sichert und 61,5 Millionen Euro ausgibt, blieben in Sachsen-Anhalt nach der Kürzungsorgie noch 29 Millionen Euro zur Finanzierung der Theater und Orchester.

Protest vorantreiben

ver.di unterstützt die Forderungen der Kulturschaffenden. Seit mehr als zehn Jahren haben zum Beispiel die Beschäftigten in Dessau mit einem Einkommensverzicht von zehn bis 20 Prozent die Existenz ihrer Einrichtungen mitfinanziert. Es gilt, weitere Kürzungen und den kulturpolitischen Ausverkauf des Landes zu verhindern. Die Kulturschaffenden und ihr Publikum lassen in ihrem Widerstand nicht nach. Das landesweite Kulturbündnis 5 vor 12 wird die Proteste vorantreiben.

Die Sanierung des Haushaltes, die demografische Entwicklung und ein Bevölkerungsrückgang um geschätzte 18,6 Prozent erforderten drastische Kürzungen bei der Finanzierung von Hochschulen und Wissenschaft, behauptet Finanzminister Jens Bullerjahn, SPD, beim Vorantreiben seines Haushaltskonzepts.

Jährlich sollen den Hochschulen fünf Millionen Euro gestrichen werden. Dass die Anzahl der Studienplätze von derzeit 50.000 auf 33.000 reduziert wird - bei gleichbleibender Zahl von Studienbewerber/innen - wäre die Konsequenz. Dadurch würde die befürchtete negative demografische Entwicklung gefördert. Mit unbedachten Äußerungen wie etwa, die Universitäten des Landes seien Mittelmaß und aus diesem Grund besonders von Streichungen betroffen, hat der Finanzminister ihnen ohnehin einen erheblichen Imageschaden zugefügt. Die Protestierenden finden, dass die Politik eine Abwärtsspirale in Gang setzt, die sich das Land nicht leisten kann.

"Ein fatales Signal, das nach jahrelanger Unterfinanzierung der Hochschulen die Probleme in Forschung und Lehre noch verstärkt. Es wird weder junge Menschen im Land halten noch die Ansiedlung innovativer Wirtschaftsunternehmen in Sachsen-Anhalt befördern", erklärt ver.di-Landesleiter Thomas Voß.

An den Hochschulstandorten des Landes, vor allem in den Universitätsstädten Halle und Magdeburg, haben sich lokale Bündnisse gegen die Finanzpolitik gebildet. Ein landesweites Hochschulbündnis will nicht zulassen, dass Standorte gegeneinander ausgespielt werden. Wenn Bullerjahn sich durchsetzt, wird die - auch vom Wissenschaftsrat attestierte - gute Entwicklung der Hochschullandschaft jäh beendet. Besonders im Visier der Finanzpolitiker steht die Hochschulmedizin in Halle.

Der Wissenschaftsrat hat das Universitätsklinikum Halle gesondert betrachtet. Er schlägt u.a. die Verlagerung der vorklinischen Ausbildung von Halle nach Magdeburg vor und die Verabschiedung von der Lehrerausbildung und Fächern der Geisteswissenschaften in Magdeburg. Nicht nur die Beschäftigten und die Studierenden wehren sich. Landesärztekammer, politische Gruppierungen aller Couleur, Vereine und Wirtschaftsverbände werben mit Resolutionen und Petitionen für ihre Positionen. Würde dem Gutachten des Wissenschaftsrates in allen Punkten Folge geleistet, hieße das für die Uniklinik in Halle ein Sterben auf Raten. Den eiligen Bekenntnissen des Wissenschafts- und Wirtschaftsministers Hartmut Möllring und des Ministerpräsidenten Reiner Haseloff, beide CDU, zum Erhalt der Vorklinik in Halle mag niemand recht trauen. Zu widersprüchlich und konzeptlos agiert die Landesregierung derzeit.

In den ab September geplanten Protesten "Wir! Sind Sachsen-Anhalt" werden die Hochschulen und Forschungseinrichtungen mit den Lehrer/innen und Schüler/innen auf die Straße gehen. Sie fordern mit den Kulturschaffenden, den Sozialarbeiter/innen und den Kolleg/innen der Polizei und Feuerwehr eine andere Finanzpolitik für ihr Land. Sie wissen: Zukunft lässt sich nicht einsparen. Der ver.di-Landesbezirk ruft dazu auf, sich an diesen Aktionen zu beteiligen: Geld ist da, wenn man politisch will.