Ausgabe 05/2013
"Ich kann Sie nicht weiterbedienen, ich streike jetzt"
Sabine Jakoby kommt aus dem Bezirk Rhein-Neckar, wo sehr intensiv gestreikt wird. Sie ist ehrenamtliche Vorsitzende der ver.di-Bundesfachgruppe Einzelhandel und bei Galeria Kaufhof in Mannheim N7 Betriebsratsvorsitzende
ver.di PUBLIK | Was ist in dieser Tarifrunde für den Einzelhandel neu?
SABINE JAKOBY | Wir haben schon in allen Bundesländern gestreikt, das hat es so noch nie gegeben. Und wir haben beim Kaufhof in mehreren Städten aus dem laufenden Betrieb heraus die Arbeit eingestellt. Im Warenhausbereich war das bisher eher unüblich. Es ist einfach etwas anderes, ob du morgens vor der Tür stehst und sagst: "Ich geh ́ da nicht rein", oder ob du dem Kunden sagst: "Tut mir leid, ich kann Sie nicht weiterbedienen, weil ich jetzt streike." Das kostet deutlich mehr Überwindung, aber es verschafft dir ein tolles Gefühl und viel Kraft. Beeindruckend ist die Entschlossenheit der ver.di-Mitglieder, unseren Manteltarifvertrag zu verteidigen und dabei keine Kompromisse einzugehen.
ver.di PUBLIK | Die Arbeitgeber streiten ab, die Tarifverträge verschlechtern zu wollen. Wenn überhaupt, dann nur für Neue im Betrieb...
JAKOBY | Da fallen mir sofort die vielen Beschäftigten ein, die ständig neue Befristungen bekommen. Da ist der Bestandsschutz ganz schnell weg. Die Arbeitgeber wollen Abstriche bei der Bezahlung für bestimmte Tätigkeiten und die Möglichkeit einer hochflexiblen Einteilung der Arbeitszeit per Tarifvertrag festschreiben, aber da machen wir nicht mit. Denn das läuft unmittelbar auf eine Zwei-Klassen-Gesellschaft in den Unternehmen hinaus und bedeutet mittel- bis längerfristig eine Verschlechterung für alle.
ver.di PUBLIK | Und was ist davon zu halten, dass die Arbeitgeber jetzt ver.di für die Flucht vieler Unternehmen aus den Tarifverträgen verantwortlich macht?
JAKOBY | Das ist absurd, weil sie diese Situation selbst herbeigeführt haben. Schließlich weigern sich die Arbeitgeber seit 2000, mit uns beim Bundesarbeitsministerium die Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge zu beantragen und treiben damit ein riskantes Spiel. Die AVE - Allgemeinverbindlichkeitserklärung - würde ja alle zu einem tarifkonformen Verhalten verpflichten. Aber seither ist eine andere Entwicklung angestoßen worden. Dumpinglöhne, Befristungen und Missbrauch von Leiharbeit oder Werkverträgen sind längst keine Einzelfälle mehr. Da die Arbeitgeberverbände auch noch für Verbandsmitgliedschaften ohne Tarifbindung werben, ist unser Flächentarifvertrag stark gefährdet. Wir tun alles, um ihn zu verteidigen und lassen uns davon auch in der aktuellen Tarifauseinandersetzung leiten.
Interview: Andreas Hamann