Ausgabe 07/2013
Hausbesuche per Telefon
Ein Bremer Verein bietet einsamen oder an Abwechslung interessierten Menschen in ganz Deutschland regelmäßige "Wohlfühlanrufe" an - für eine kleine Gebühr
Elsbeth Rütten
"Hallo Frau X.! Elsbeth Rütten hier, vom Verein Ambulante Versorgungsbrücken." Jeden Freitag bekommt Frau X. in Sachsen einen Anruf aus dem fernen Bremen: einen Hausbesuch per Telefon. Mal sitzt Vereinschefin Rütten am anderen Ende der Leitung, mal eine der 15 anderen ehrenamtlichen Telefondamen der gemeinnützigen Organisation.
Frau X., (70), hat die sogenannten "Wohlfühlanrufe" abonniert, weil sie als Gehbehinderte kaum noch aus dem Haus kommt. Jetzt hat sie zumindest einmal pro Woche etwas Abwechslung und kann über Freuden und Nöte des Alltags plaudern - oder auch gemeinsam singen. Denn das ist ihre Leidenschaft. Deshalb kommt Elsbeth Rütten gleich zur Sache und stimmt Kein schöner Land in dieser Zeit an.
So wie Frau X. lassen sich inzwischen rund 130 Menschen in ganz Deutschland regelmäßig anrufen. Die meisten sind alleinstehende Rentnerinnen. Aber auch ein Dutzend Männer oder einzelne Ehepaare stehen in der Telefonkartei.
Früher konnten sie sich mit dem Nachbarn am Gartenzaun austauschen. Aber der ist vielleicht längst im Heim oder gestorben. Und die Kinder haben auch nicht immer Zeit und Lust, sich um die Eltern zu kümmern. Diese Lücke füllt seit gut anderthalb Jahren das Wohlfühltelefon. Da geht es oft um "ganz normale Alltagsgespräche", berichtet die weißhaarige Vorsitzende. "Aber wir hatten auch schon tiefgehende politische Diskussionen." Nicht nur das: "Wir singen, wir beten, wir lesen Gedichte vor - wir machen alles." Mit einer Einschränkungen: "Wir sind kein Krisendienst und keine therapeutische Stelle."
Gelegentlich helfen die Anruferinnen auch dabei, einen Pflegedienst oder andere Unterstützung zu vermitteln. Das gelingt ihnen manchmal leichter als den eigenen Familien. Wenn die ihren älter gewordenen Angehörigen empfehlen, sich von Putz- oder Pflegekräften helfen zu lassen, dann wehren die Senioren gerne ab: "Das brauche ich alles nicht."
Lust auf Neues
Ohnehin, hat Rütten festgestellt, wirken die Anrufe oft aktivierend. "Sie machen Lust, auch mal wieder rauszugehen, etwas Neues zu entdecken, Neues zu lernen." Oder mit Konflikten in der Familie anders umzugehen.
Wie oft und wie lang geplaudert wird, ist Vereinbarungssache. Vorgegeben ist nur die Höhe der Gebühren: 35 Euro im Vierteljahr. Etwa die Hälfte der Senioren zahlt selbst, die andere bekommt das Telefon-Abo geschenkt. Zum Beispiel von erwachsenen Kindern, für die es entlastend ist, wenn sich mal jemand anderes die womöglich immer gleichen Geschichten der Eltern anhört.
Die ehrenamtlichen Telefondamen können solche Wiederholungen besser aushalten. Denn dafür sind sie geschult. Bevor sie ans Vereinstelefon gelassen werden, lernen sie zum Beispiel Gesprächsführung oder das Dokumentieren der Inhalte im Bürocomputer, damit sich beim nächsten Mal der Faden wieder aufgreifen lässt. Fast alle Anruferinnen sind selbst schon im Rentenalter und möchten noch etwas Sinnvolles tun. Viele kommen aus dem Sozial- oder Gesundheitsbereich, waren Lehrerin oder Arzthelferin.
Praktische Hilfe
Rütten hat als Krankenschwester gearbeitet. Mit ihren 65 Jahren könnte sie sich eigentlich auf die faule Haut legen. Stattdessen sitzt sie sogar am Freitagabend manchmal noch bis 21.30 Uhr in ihrem Vereinsbüro und organisiert Hilfe für andere Senior/innen - nicht nur per Wohlfühltelefon, sondern auch durch persönliche Beratung vor Klinikaufenthalten: Woran muss ich alles denken? Und vor allem: Wer kümmert sich in der ersten Zeit nach der Entlassung um mich?
Elsbeth Rütten hat da als Alleinstehende eigene Erfahrungen gemacht. Nach einer Fuß-OP war sie zuhause hilflos sich selbst überlassen. Das war für sie der Auslöser, den Verein zu gründen. Sie kämpfte für eine Änderung des "Sozialgesetzbuchs 5" und hatte mit einer Petition an den Bundestag Erfolg: Seit 2012 sollen die Krankenkassen häufiger als bisher Haushaltshilfen bewilligen. Das Wohlfühltelefon ist aus Rüttens Sicht bundesweit einmalig. Sie kennt nur ein ähnliches Projekt, das sich aber auf Anrufe innerhalb einer Kirchengemeinde beschränkt. "Wir", sagt Rütten, "machen es mit Gott und der Welt."
In aller Kürze
Der gemeinnützige Verein "Ambulante Versorgungsbrücken" wurde 2009 zunächst unter dem Namen "Ambulante Versorgungslücken" gegründet, um die Betreuung von Klinikpatienten nach ihrer Entlassung zu verbessern. Neben Beratungen in solchen Fällen bietet der Verein unter anderem auch regelmäßige "Wohlfühlanrufe" an, die gegen Einsamkeit helfen oder den Horizont erweitern sollen. Die Kosten für drei Monate: 35 Euro. Mitglieder können sich umsonst anrufen lassen; je nach Selbsteinschätzung beträgt der Mitgliedsbeitrag 36 bis 60 Euro im Jahr. Um überleben zu können, ist der Verein auch auf Spenden angewiesen. Schirmherr und Ehrenmitglied ist Bremens Altbürgermeister Henning Scherf (SPD).
Kontaktdaten:
www.ambulante-versorgungsbruecken.de, Tel. 0421/3809734