Ausgabe 07/2013
Was macht eigentlich die Arbeiterfaust?
Wenn meine Schriftstellerfinger "Arbeiterfaust" googeln, führt das zu rund 1300 Ergebnissen. Niederschmetternd, so sich von der Zahl der Treffer auf die Relevanz des Getroffenen schließen lässt. Wo ist er, der starke Arm, der alle Räder stillstehen lässt - und zwar willentlich, nicht aus Personalmangel wie in den Stellwerken der Deutschen Bahn. Zum Trost kann man die Arbeiterfaust im Netz erwerben: "ebay hat eine riesige Auswahl an tollen Angeboten für Arbeiterfaust". Ist das der historische Fortschritt: vom Singen zum Steigern? Früher, als auch nicht alles besser war, hieß es noch: "Wenn unser Gesang durch die Straßen braust/ dann zittert der Feind vor der Arbeiterfaust!" Venceremos! Erinnert sich noch jemand? Das war auch so ein Liedgut, bis weit in die 70er Jahre gern von Studenten gesungen, die Arbeiter nur aus den Büchern kannten, die sie über sie gelesen hatten.
Das ist lange her. Ach, die Geschichte rollt ihr Rad, ob die schwache Hand des Geschichtsschreibers das will oder nicht. Aber manchmal schlägt das Leben einen Purzelbaum und stellt vergessene Worte und Gesten mitten ins Hier und Heute. Ich habe das erst kürzlich erlebt, direkt an der Arbeitereinheitsfront in Form eines Tresens in einem Installationsbetrieb. In meiner Mietwohnung tropfte ein Hahn, und da Schriftsteller klischeegemäß weder Nägel gerade in die Wand kriegen noch Hähne zum Stillhalten, mögen sie nun krähen oder tropfen, wartete ich geduldig im Vorraum des Installationsbetriebs wie ein Leichtverletzter in der überfüllten Notaufnahme eines Krankenhauses.
Als ehemaliger Soziologiestudent, der allerdings Arbeiter nicht nur aus fremden Büchern, sondern in der eigenen Familie kennt, ist mir die klassische Unterscheidung zwischen "white collar" und "blue collar" geläufig. In diesem Fall stand "white collar" als resolute Dispatcherin hinter dem Tresen und "blue collar" davor, im Blaumann, wie es sich gehört. Die Dispatcherin legte zwei Auftragszettel auf den Tresen, pickte mit ihren Kunstnägeln und fragte, ob beide Jobs auch wirklich heute noch erledigt werden würden. Der Arbeiter würdigte die Zettel keines Blickes und sagte: "Das kriegen wir schon hin. Venceremos!" Er sagte tatsächlich: "Venceremos!" Dann machte er das Sieges-V. In meinem Kopf erklang sofort die entsprechende Melodie. Wie lange war es her, dass ich eine Venceremos-Geste gesehen hatte. Und die letzte stammte nicht von einer Arbeiter-, sondern von einer Ackermannfaust.
Bruno Preisendörfer
Bruno Preisendörfer, Jahrgang 1957, lebt als Schriftsteller in Berlin und im Barnim. Zuletzt erschien sein Internatsroman Die Schutzbefohlenen (Psychosozial-Verlag, Gießen 2013)