Gegen den von der neuen Regierungskoalition vereinbarten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro machen die Zeitungsverleger mobil. Sie fordern Ausnahmen für Zeitungszusteller/innen. Die Verleger begründen ihre Einsprüche mit der bisherigen Praxis: In einigen Regionen verdienen die Zeitungszusteller zur Zeit pro Stunde nur drei bis fünf Euro.

Allein von der Zeitungszustellung kann niemand leben, dafür ist auch das Zeitfenster morgens zu kurz, in dem die Zeitungen zugestellt werden. Fast alle Beschäftigten in diesem Bereich haben noch mindestens einen Job zusätzlich oder bessern darüber ihre Rente auf. Um einen Überblick zu erhalten, hat ver.di im Juni 2013 die Bezahlung der Zusteller von 27 Zustellbetrieben ausgewertet. Beteiligt waren ausschließlich Betriebe mit Betriebsräten aus den alten Bundesländern. Das Ergebnis: Im Durchschnitt wurden 7,79 Euro gezahlt.

Zusätzlich erhielten die Beschäftigten noch unterschiedlich hohe steuerfreie Nachtzuschläge, Wegegeld oder Beihilfen für Kleidung und Schuhe. In der Summe wäre in diesen Betrieben also nur eine kleine Erhöhung notwendig, um auf die angestrebten 8,50 Euro-Stundenlohn zu kommen. Ganz anders sieht die Situation aber in Betrieben ohne Betriebsrat und auch in den ostdeutschen Zustellfirmen aus: Niedriglöhne, die mehr als die Hälfte unter dem geforderten Mindestlohn liegen, sind keine Seltenheit.

Wirrwarr durch die Zulagen

Hauptberuflich trägt zum Beispiel Margret Werner von 6 Uhr morgens bis mittags Post für einen privaten Postdienstleister in Brandenburg aus. Vorher stellt sie noch ab 2 Uhr 30 rund 300 Zeitungen zu. Sie arbeitet sechs Tage in der Woche und erhält pro Zeitung rund vier Cent und etwas mehr für Publikationen anderer Verlage. Im Schnitt verdient sie pro Nacht als Zeitungszustellerin rund 15 Euro brutto. Bei dreieinhalb Stunden Arbeit pro Nacht sind dies knapp 4,30 Euro Stundenlohn.

Etwas anders sieht die Situation in München aus, bei einer der Zustellfirmen, an der die Süddeutsche Zeitung maßgeblich beteiligt ist. Die Zusteller arbeiten dort zu sehr unterschiedlichen Konditionen. Wer noch einen Altvertrag hat, erhält rund 7,5 Cent pro Zeitung und zusätzlich noch einige Cent für Beilagen und eine kleine Gewichtszulage. Günter Warczok, Betriebsrat in der Zustellfirma, hat so einen Altvertrag. Er kommt auf rund 7,50 Euro Stundenlohn mit zwei Touren und knapp 100 Zeitungen täglich. Dafür braucht er morgens ungefähr eine Stunde. Zusteller mit Neuverträgen verdienen unter dem Strich weniger. Sie erhalten im Schnitt 1,60 Euro pro Abonnent und Monat. Die Touren sind in verschiedene Klassen eingeteilt, jede wird anders bezahlt. Die Schwankungen werden auch damit begründet, dass in einem Gebiet mit vielen Hochhäusern Zeitungen schneller zugestellt werden können als in Einfamilienhaus-Siedlungen.

Der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) verteidigt das Verfahren, damit würden die Verlage auf die jeweilige Schwere der Tour Rücksicht nehmen. Einen Stundenlohn oder gar einen Mindestlohn lehnt der BDZV ab. Frank Werneke, stellvertretender ver.di-Bundesvorsitzender, warnte vor Ausnahmen vom Mindestlohn: "Für uns steht fest: Lohndumping im Zustellbereich darf keinesfalls legalisiert werden."

Doch in der Großen Koalition trifft der BDZV auf offene Ohren. Ralf Stegner, stellvertretender SPD-Bundesvorsitzender, wird von Spiegel Online so zitiert: "Die Zeit der Ausreden ist vorbei - der flächendeckende Mindestlohn ist nicht verhandelbar." Unklar sei aber noch der Status der Zeitungsausträger, so Stegner weiter. Nicht erwähnt wird bei Spiegel Online, dass die SPD über ihre Medienholding ddvg zahlreiche Zeitungsbeteiligungen hält und damit auch als Arbeitgeber der Zeitungszusteller am Koalitionstisch sitzt.

Silke Leuckfeld