Jürgen Bothner

ver.di publik: Die Böllerschüsse fürs neue Jahr sind verklungen, die guten Vorsätze bleiben. Wie sieht es für ver.di Hessen 2014 damit aus?

Jürgen Bothner: Lass' mich erst einmal zurückblicken. Hervorheben will ich, dass wir im vergangenen Jahr viele neue Mitglieder gewinnen konnten. Wir sind in Hessen erneut im Plus. Insgesamt haben wir nun 167.000 Mitglieder. Besonders freut mich, dass darunter auch viele junge sind. Auch von ihnen würde ich mir noch mehr wünschen. Zudem: ver.di Hessen wird weiblicher, und das ist gut so.

Besonders viele neue Mitglieder konnten die Fachbereiche Handel, Finanzdienstleistungen, Gesundheit und der Bereich Speditionen im Fachbereich Postdienste gewinnen. Das liegt nicht zuletzt an den Tarifauseinandersetzungen im Einzelhandel und den Aktionen zu den Themen Sonntagsarbeit, prekäre Arbeit, zur Situation in der Pflege und im Gesundheitswesen insgesamt. Die Tarifauseinandersetzungen und Aktionen haben gezeigt, dass ver.di durchsetzungsfähig ist. Das geht aber nur mit engagierten Mitgliedern. Deshalb möchte ich, auch wenn das Jahr schon einige Wochen alt ist, uns allen in ver.di Hessen ein gutes Jahr wünschen. Denn es steht vieles an.

ver.di publik: Wie beurteilt ver.di die neue schwarz-grüne Landesregierung?

Bothner: Pauschal kann man sagen: Da fließt etwas grüne Schorle in alten Schläuchen. Es kommen kaum soziale Themen vor. ver.di Hessen bewertet den Koalitionsvertrag der neuen Landesregierung als größtenteils herbe Enttäuschung, wenngleich es in einigen Bereichen auch positive Aspekte gibt. Besonders bitter ist, dass Hessen nicht in die Tarifgemeinschaft der Länder zurückkehrt. Immerhin geht es um die Geschicke von 140.000 Beschäftigten. Die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten soll um eine Stunde reduziert werden, dafür bekommen sie aber weniger Geld. Das heißt in der Praxis, die Arbeitsverdichtung nimmt durch den fehlenden Personalausgleich stetig zu.

ver.di publik: Ist das der ganze Gruselkatalog der Regierung?

Bothner: Bei Weitem nicht. Außerdem ist ein Abbau von Stellen geplant, in den nächsten fünf Jahren sollen das etwa 2600 sein. Durch die angekündigte Festschreibung der Besoldungserhöhung auf ein Prozent ab 2016 werden die Beamten weiterhin von der Einkommensentwicklung abgekoppelt. ver.di besteht aber darauf, dass Beamte und Angestellte tariflich verbunden bleiben. Von der gesamten Regierung verlangen wir einen wertschätzenden Umgang mit den Landesbeschäftigten. Und vom Innenminister im Besonderen erwarten wir, dass er sich ihnen verpflichtet fühlt und sie nicht als Notopfer für Sparhaushalte missbraucht. Sie sind nicht schuld an der finanziellen Situation des Landes. Wir werden der neuen Regierung genau auf die Finger schauen. Und wir scheuen nicht davor zurück, unsere Meinung auch lautstark nach Wiesbaden zu tragen - außerhalb des Parlaments.

ver.di publik: Wird das neue Jahr für ver.di Hessen im Zeichen des öffentichen Dienstes stehen?

Bothner: Die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst ist sicher ein Schwerpunkt. Dabei geht es um das ganze Spektrum der Beschäftigten. Wir haben aber auch noch andere Baustellen, so bei den Busfahrern in den privaten Omnibusbetrieben, bei den Krankenkassen, in der privaten Abfallwirtschaft, bei der Telekom, bei E.ON, bei den Banken und in der Papierverarbeitung. In der laufenden Tarifrunde für Redakteurinnen und Redakteure an Tageszeitungen stellen sich die Verleger bislang immer noch stur.

ver.di publik: ver.di kann also über Mangel an Arbeit nicht klagen.

Bothner: Geklagt haben wir sowieso noch nie. Aber wir müssen schon ordentlich die Ärmel hochkrempeln. Es stehen ja auch noch die Betriebsratswahlen und die vorbereitenden Konferenzen für den Landesbezirk bevor. Gerade hier eröffnet sich die Chance, weiterzugehen auf dem Weg zu einer Organisation, die ich gern als "Mitmachgewerkschaft" bezeichne. Wir sind genau dann als ver.di erfolgreich, wenn wir unsere Energie bündeln. Es wurde ja immer mal behauptet, eine Großorganisation sei ein "schwerfälliger Tanker" und könne die vielfältigen Interessen der Mitglieder nicht berücksichtigen. Dass das falsch ist, haben wir bewiesen. Aber es gilt auch: Adieu Stellvertreterpolitik. Wir wollen selbstbewusst agierende Mitglieder, und die brauchen einen solidarischen Zusammenhalt.

Interview: Renate Bastian

"Wir werden der neuen Regierung genau auf die Finger schauen. Und wir scheuen nicht davor zurück, unsere Meinung auch lautstark nach Wiesbaden zu tragen - außerhalb des Parlaments."