Auch in Deutschland leben Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der Arbeitsausbeutung. Nur schaut kaum jemand hin. Das bundesweite Bündnis gegen Menschenhandel will das ändern

von Susanne Kailitz

Deutschland, das war für Jun Zhang (Name geändert) in seiner Vorstellung so etwas wie das Paradies. Dort könne er viel mehr Geld verdienen als zu Hause in China, hatte man dem Koch gesagt, dort könne er ein gutes Leben führen. "Doch die erste Zeit war die Hölle", sagt Zhang heute. Über eine Agentur kam er nach Berlin, mit einem "anständigen Arbeitsvertrag", der ihm ein Nettogehalt von 1843 Euro garantierte. "Ich hatte volles Vertrauen." 7500 Euro, das Zwanzigfache seines monatlichen Verdienstes in China, kostete es Zhang, alle Papiere zusammenzubekommen und nach Deutschland zu gelangen. Doch was hier auf ihn wartete, hatte ihm vorher niemand gesagt: ein Zimmer im Restaurantgebäude und ein 14-Stunden-Tag mit einem Chef, der sofort losgeschimpft und geprügelt habe, wenn etwas schiefgelaufen sei. Und eine Zahlung von 300 Euro. "Das war's."

Er habe sich erst nicht zur Polizei getraut, erzählt Zhang. Aber als sein Chef ihm bei einer Auseinandersetzung in den Nacken geschlagen habe, da habe er ihn angezeigt. Mit Folgen für sich selbst: Nach der Kündigung sei er "praktisch obdachlos" gewesen. "Ich hätte mir eine Notunterkunft und etwas Verpflegung gewünscht." Dennoch bereut er den Schritt nicht. "Jeder Mensch hat seine Würde", sagt er.

Moderne Sklaverei

Dass Menschen wie Jun Zhang Hilfe bekommen, ist Ruxandra Icobescus Anliegen. Seit zwei Jahren arbeitet sie für das bundesweite "Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung". Daran beteiligen sich drei Bundesländer: Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Icobescu arbeitet für den DGB, der in Brandenburg Projektpartner ist. Ihr Ziel ist es, etwas sichtbar zu machen, das die meisten Menschen gar nicht wahrnehmen. Denn welcher Hotelgast in Berlin weiß schon, dass die junge Frau aus Somalia, die sein Zimmer hergerichtet hat, pro Zimmer drei Euro bekommen soll, von denen ihre Vermittlerin dann noch einen für sich behält? Wer hat die sieben Frauen aus Polen und der Ukraine bemerkt, die im Bergischen Land 58 Stunden pro Woche in einem Altkleiderlager gearbeitet haben, unter menschenunwürdigen Bedingungen und für etwa 2,40 Euro pro Stunde?

Es geht um eine Form der modernen Sklaverei. Weltweit sind 14,2 Millionen Menschen Opfer von Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung, schätzt die Internationale Arbeitsorganisation ILO, 1,5 Millionen von ihnen in den Industriestaaten. "Genaue Zahlen gibt es nicht", sagt Ruxandra Icobescu, und das liege auch daran, dass es bislang keine Strukturen gebe, um mit dem Problem umzugehen. "Niemand ist wirklich zuständig, die meisten Behörden und Beratungsstellen kennen sich mit dem Thema nicht aus, und die Betroffen wissen nicht, an wen sie sich wenden können." Sie schätzt, dass es in der EU mindestens 610.000 und in Deutschland mindestens 15.000 Betroffene gibt.

Rechtliche Klarheit

Rechtlich ist die Sache klar: Schon 1957 hat die ILO, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, in ihren Kernarbeitsnormen die Abschaffung der Zwangsarbeit formuliert - und die sind für alle 185 Mitgliedstaaten verbindlich. Seit 2005 legt der Paragraph 233 des deutschen Strafgesetzbuchs fest, dass sich strafbar macht, "wer eine andere Person unter Ausnutzung einer Zwangslage oder der Hilflosigkeit, die mit ihrem Aufenthalt in einem fremden Land verbunden ist, in Sklaverei, Leibeigenschaft oder Schuldknechtschaft oder zur Aufnahme oder Fortsetzung einer Beschäftigung bei ihm oder einem Dritten" bringt, und zwar "zu Arbeitsbedingungen, die in einem auffälligen Missverhältnis zu den Arbeitsbedingungen anderer Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer stehen, welche die gleiche oder eine vergleichbare Tätigkeit ausüben". In der Praxis aber sei der Straftatbestand nur schwer zu beweisen, sagt Ruxandra Icobescu. "Die Leute werden ja in der Regel nicht angekettet, sondern meist durch psychischen Zwang in diesen Arbeitsverhältnissen gehalten. Und den sieht man nicht."

Die Mitarbeiter/innen des Projekts, das vor zwei Jahren gestartet ist, haben inzwischen typische Branchen und Strukturen ausgemacht. So seien vor allem die Gastronomie, das Baugewerbe, die Saisonarbeit, Fleischbetriebe und Reinigungsunternehmen in der Vergangenheit aufgefallen. "Die Beschäftigten werden in ihren Heimatländern angeworben, man verspricht ihnen Arbeitsverträge und ein gutes Einkommen. Wenn sie dann in Deutschland sind, ist alles ganz anders." Und zwar so: Sie müssen viel mehr arbeiten als ausgemacht, sie werden nicht bezahlt oder erhalten nur geringe Abschläge. Sie werden immer wieder vertröstet oder man droht ihnen mit Kündigung. Im schlimmsten Fall nimmt man ihnen die Pässe weg. Ohne Kontakte und Sprachkenntnisse sind die Betroffenen völlig von ihren Arbeitgebern abhängig.

"In ganz vielen Fällen ist die Unterkunft an die Arbeit gekoppelt. Wer kündigt, weiß dann nicht, wohin, und für die Heimreise fehlt das Geld", sagt Icobescu. Weil viele sich schon für die Einreise nach Deutschland, für Papiere und die Vermittlung von Arbeitsverträgen verschuldet hätten, erscheine ihnen das Risiko zu hoch, gegen die ausbeuterischen Arbeitgeber vorzugehen und dann vielleicht arbeitslos zu sein. Noch aussichtsloser sei es für Betroffene ohne Aufenthaltstitel: Sie haben Angst vor der Abschiebung.

Regelmäßige Beratung

Icobescu bietet seit Ende des vergangenen Jahres Beratungstermine an. Einmal pro Woche beantwortet sie Fragen in den DGB-Büros in Frankfurt/Oder und Potsdam. Dass es diese Möglichkeit gibt, spricht sich nur langsam herum. Nicht nur die betroffenen Migrant/innen wissen nicht, wo es Hilfe gibt. Es sei ein gravierendes Problem, so Icobescu, dass es auch in den Behörden kaum jemanden gebe, der sich zuständig fühle.

Zwar betreibt der DGB in fünf Städten das Projekt "Faire Mobilität" zur Beratung. ver.di hat in München, Berlin, Hamburg, Stuttgart, Frankfurt am Main und Köln die Beratungsstellen MigrAr eigenrichtet. Dort gehe es um arbeitsrechtliche Fragen, sagt Icobescu, "Menschenhandel aber ist eine Menschenrechtsverletzung, die über die arbeitsrechtliche Ausbeutung hinausgeht." Das sei ein "gezielt kriminelles Verhalten der Arbeitgeber". Um diese Fälle zu bearbeiten, mangele es den sowieso überstrapazierten Beratern an Ressourcen. Und nicht nur ihnen: Wenn die Polizei einen Minibus voller Migranten anhalte und die Papiere kontrolliere, gehe es primär darum, Schwarzarbeit aufzudecken. "Dass dort auch Opfer von Menschenhandel sitzen könnten, auf diese Idee kommt meist niemand." Dabei würde es häufig schon ausreichen, die richtigen Fragen zu stellen: Sind den Arbeitnehmern die Papiere weggenommen worden, werden sie misshandelt und dürfen sich nur eingeschränkt bewegen? Müssen sie extrem lange arbeiten, ohne dafür Lohn zu bekommen? Sind hohe Schulden abzuarbeiten?

Es spiele dabei keine Rolle, welche Staatsangehörigkeit die Person hat oder ob sie eine Arbeitserlaubnis hat, sagt Icobescu. "Es ist traurig, dass die meisten Betroffenen automatisch meist erst einmal als Täter angesehen werden." Kommt es zu einem Strafverfahren wegen Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung, erhalten die Betroffenen einen Aufenthaltstitel für die Dauer des Verfahrens; was danach kommt, ist ungewiss. Und auch ein Prozess ist keine Garantie auf Entschädigung. Obwohl gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber verhandelt wurde, hat Jun Zhang das Geld, das ihm für seine Arbeit zusteht, bis heute noch nicht bekommen. Trotzdem, sagt er, sei er zufrieden. Der neue Chef, für den er jetzt arbeite, sei freundlich und schlage ihn nicht. Der Traum vom Reichtum in Deutschland hat sich für ihn nicht erfüllt. Aber wenigstens hat er seine Würde wieder.

Gegen Menschenhandel

Das Bündnis gegen Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung (BMGA) will Zwang und Ausbeutung in Deutschland sichtbar machen, es berät Betroffene und Multiplikatoren. Koordination: Arbeit und Leben e.V., Landesarbeitsgemeinschaft Berlin. Partner auf Länderebene sind der DGB-Bezirk Berlin-Brandenburg, in Nordrhein-Westfalen die Diakonie Wuppertal/ Migrationsdienste und in Rheinland-Pfalz das Ministerium für Integration, Familie, Kinder, Jugend und Frauen.

Kontakt

Berlin und Brandenburg:

Ildiko.Pallmann@dgb.de, Tel. 030 / 21 24 02 13

Nordrhein-Westfalen:

thielmann@migrationsdienst-wuppertal.de, Tel. 0202 / 49 69 70

Rheinland-Pfalz:

menschenhandel@mifkjf.rlp.de, Tel. 06131 / 16 26 81

www.buendnis-gegen-menschenhandel.de

Beratung in Frankfurt/Oder:

DGB-Büro Ostbrandenburg, Zehmeplatz 11, Di 10-15 Uhr, Tel. 0335 / 56606-12/13

Beratung in Potsdam:

DGB-Büro Mark-Brandenburg, Breite Str. 9a, Do 10-15 Uhr, Tel. 0331 / 27596-16

E-Mail ruxandra.icobescu@dgb.de

Beratung auf Deutsch, Rumänisch, Englisch, Spanisch, Französisch und in Kooperation mit dem Projekt "Faire Mobilität" des DGB-Bundesvorstands.

Das Projekt läuft bis zum 31. Dezember 2014. Ob es danach fortgesetzt werden kann, ist noch offen.