Der Kampf der Textilarbeiter/innen für einen angemessenen Mindestlohn geht weiter, trotz der Gewalt durch Polizei und Unternehmer

4. April: Proteste und Polizeigewalt vor dem Gericht in Phnom Penh. Die Demonstrant/innen fordern die Freilassung der im Januar Verhafteten

"Schämt euch!" Kannitha zeigt zornig auf die Polizisten in martialischer Kampfmontur, die den Freiheitspark in Phnom Penh absperren. "Das ist doch kein Freiheitspark mehr", ruft sie den Polizisten zu. Kannitha ist eine der wenigen Arbeiter/innen unter den Demonstrierenden, die am 8. März dem Aufruf von Gewerkschaften zu einer Protestveranstaltung für Demokratie und die Erhöhung des Mindestlohns für Kambodschas Textilarbeiter/innen gefolgt sind. Nicht von ungefähr fiel das Datum der Demonstration mit dem Internationalen Frauentag zusammen. Über 80 Prozent der mehr als eine halbe Millionen Beschäftigten in der Textilbranche des Landes sind junge Frauen.

Zu wenig zum Leben

Die Regierung hatte im Januar den Mindestlohn auf umgerechnet 100 US-Dollar pro Monat festgesetzt. Die Gewerkschaften bestehen jedoch auf ihrer Forderung von 160 Dollar. "Das ist das Minimum, das man hier zum Leben braucht", sagt Gewerkschaftsführer Ath Thorn.

Doch die von den Gewerkschaften erhoffte Massenkundgebung war keine. Die gewaltsame Niederschlagung des Streiks im Januar zeigt Wirkung. Vier Menschen sind von der Militärpolizei erschossen worden, 21 wurden verhaftet und sitzen seitdem im Gefängnis. Die Arbeiter/innen haben Angst. Die Mehrheit der rund 1000 Teilnehmer/innen der Kundgebung waren Vertreter von Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen, von Botschaften, den Vereinten Nationen, Parteien und Medien.

Auch die Streiks, die wenige Tage danach, Mitte März, stattfanden, waren kein Erfolg. Die meisten Textilarbeiterinnen blieben an ihren Nähmaschinen, denn die Arbeitgeber hatten unmissverständlich klargestellt: Wer streikt, der fliegt. Einen Jobverlust aber können die vielen Hunderttausend Textilarbeiterinnen sich nicht leisten. Und sie wissen: Die Arbeitgeber greifen zu harten Methoden. Als in den vergangenen Wochen in einigen Fabriken Arbeiter/innen aus Protest gegen die Arbeitsbedingungen Überstunden verweigert haben, ließen die Fabrikbesitzer am Ende der regulären Arbeitszeit "zum Schutz der Arbeiter vor aufrührerischen Gewerkschaften" kurzerhand die Fabriktore verriegeln und sperrten so die Beschäftigten an ihren Arbeitsplätzen ein.

Die Textilproduktion ist neben der Landwirtschaft, der Baubranche und dem Tourismus der wichtigste Wirtschaftsfaktor des bitterarmen südostasiatischen Landes. Textilien und Schuhe im Wert von 4,25 Milliarden Dollar werden jährlich exportiert. Das macht 90 Prozent der Gesamtausfuhr Kambodschas aus. Internationale Mode- labels erteilen Aufträge an Firmen in Ländern wie Südkorea, Taiwan oder Malaysia. Die wiederum reichen sie an Fabriken weiter, die von asiatischen Investoren gebaut und dann an Betreiber verkauft oder verpachtet wurden. Die asiatischen Investoren sind jedoch einzig an schnellster Profitmaximierung interessiert. "Die Modeunternehmen könnten eine Steigerung der Stückkosten durch höhere Löhne verkraften, vermutlich sogar ohne die Preise zu erhöhen", sagt ein Mitarbeiter einer westlichen staatlichen Entwicklungshilfeorganisation, der offiziell keine Stellungnahme dazu abgeben darf. "Die Investoren und Fabrikbesitzer sind jedoch nicht bereit, auf einen kleinen Teil ihres Profits zu verzichten."

Verhandlungen statt Gewalt

Eine Reihe von internationalen Modeunternehmen drängt den autoritär herrschenden Ministerpräsidenten Hun Sen und die Arbeitgeber, mit den Gewerkschaften zu verhandeln, statt immer weiter Gewalt anzuwenden. Dave Welsh, Vertreter der Organisation für Arbeiterrechte "Solidarity Center" in Phnom Penh, sieht das zwar "positiv", lässt aber auch keinen Zweifel daran, dass die Unternehmen ihren Einfluss noch weit stärker nutzen könnten.

Kambodschas Regierung lehnt eine weitere Erhöhung des Mindestlohns im Lande kategorisch ab. Erstens, so sagt sie, verdienten andere Berufsgruppen wie Lehrer oder Polizisten weniger als die Textilarbeiter. Zweitens verweist sie auf Länder mit niedrigeren Mindestlöhnen wie Bangladesch oder Birma. Tola Moeun, der Leiter des Arbeiterprojekts im Bildungszentrum Community Legal Education Center (CLEC) in Phnom Penh, hält dagegen: "In Vietnam verdienen Textilarbeiter mehr als hier", sagt er und fügt hinzu: "Zudem geht es nicht nur um die absolute Höhe des Einkommens, sondern um die Kaufkraft. In Bangladesch und Birma sind die Lebenshaltungskosten niedriger als bei uns."

Die Gewerkschaften lassen nicht locker. Sie wollen dem vom Ministerpräsidenten verhängten Streik- und Demonstrationsverbot mit Kreativität ein Schnippchen schlagen. "Heimstreik" heißt die geplante Aktion, durch die der Forderung nach 160 Dollar Mindestlohn jetzt Nachdruck verliehen werden soll. Tola Moeun erklärt: "Wir haben die Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter aufgefordert, alle gleich nach unserem Neujahrsfest Mitte April ihren Jahresurlaub zu nehmen."

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