In den USA ist eine ganze Branche spezialisiert auf das Aushebeln von Arbeitnehmerrechten und Gewerkschaftstrukturen. Mit dem Freihandelsabkommen TTIP könnte uns hier ähnliches blühen

Madison, Wisconsin: Mit Shanties und Sprechchören wehren sich Gewerkschafter/innen und Beschäftigte gegen das Haushaltsgesetz von 2011, in dem sich ein Gewerkschaftsverbot versteckt

Im Februar 2014 scheiterte der Versuch, im VW-Werk in Chattanooga, Tennessee, endlich eine Belegschaftsvertretung einzurichten. Der Konzernbetriebsrat von VW hatte die US-Gewerkschafter/innen unterstützt, Betriebsräte des VW-Werks in Wolfsburg berieten die Aktiven vor Ort, die Zentrale der Gewerkschaft United Automobil Workers (UAW) hatte sich eingesetzt. Vergeblich. Die Mehrheit der VW-Beschäftigten in Chattanooga stimmte dagegen. Das empfanden Befürworter wie Gegner als eine historische Niederlage für die US-Gewerkschaften.

In den USA gibt es keine flächendeckenden Tarifverträge. Auch Betriebsräte wie in Deutschland sind unbekannt. Vielmehr müssen die Gewerkschaften in jedem einzelnen Unternehmen eine Urabstimmung beantragen. Die muss von der Arbeitsbehörde (National Labor Relations Board, NRLB) genehmigt werden. Stimmt dann die Mehrheit der Beschäftigten zu, sich von der Gewerkschaft vertreten zu lassen, hat die das Recht, mit der Unternehmensleitung einen Haus-Tarifvertrag abzuschließen.

Finanziert von Google & Co.

Das Ergebnis in Chattanooga wurde politisch erpresst. Das "Zentrum für Arbeiterfreiheit" (Center for Workers Freedom) stellte in der Region riesige Werbetafeln auf mit der Botschaft: "Die (Gewerkschaft) UAW hat die Autoproduktion in Detroit zerstört." Das Center wird unter anderem von Konzernen wie Google, von den Tea-Party-Finanziers Koch Industries und vom Heuschrecken-Fonds Blackstone finanziert. Republikanische Senatoren und der Gouverneur von Tennessee drohten: Wenn die Gewerkschaft die Abstimmung gewinnt, werde die dreistellige staatliche Millionen-Subvention für den Ausbau der VW-Niederlassung gestrichen, Arbeitsplätze würden verloren gehen.

Die Arbeitsbehörde NRLB gehört in den USA zu den New-Deal-Reformen der 1930er Jahre. Sie waren eine Konsequenz aus der Weltwirtschaftskrise. Die Gewerkschaften wurden aufgewertet, zum ersten Mal im Kapitalismus wurde ein Mindestlohn eingeführt. Doch die NRLB wurde spätestens unter Präsident Reagan in den 1980er Jahren schrittweise in eine Bürokratie zur Kontrolle der Gewerkschaften umgewandelt. Ihr Personal wurde abgebaut, unternehmerfreundliche Beamte eingesetzt. Gewerkschaften müssen in hundertseitigen Formularen detailliert über die finanziellen Verhältnisse nicht nur ihrer Hauptamtlichen Auskunft geben, zumBeispiel über aufgenommene Kredite. Die Unternehmer können durch ihre Berater Einsicht in die Unterlagen der NRLB nehmen und können Widersprüche einlegen. So kann es Monate und sogar Jahre dauern, bis ein Antrag auf die betriebliche Abstimmung genehmigt wird. Die Beschäftigten werden demoralisiert.

Die Unternehmer haben das Recht, sogenannte "Union Busters" zu engagieren: Die bieten an, solche Abstimmungen zu verhindern. Die bekanntesten dieser Profis, die in den USA eine etablierte Dienstleistungsbranche darstellen, sind das Labor Relations Institut (LRI), die Burke Group und die Kanzlei Jackson Lewis. Sie bezeichnen sich mittlerweile als "union avoidance firms", als Gewerkschafts-Vermeidungs-Firmen.

Betriebsschließung angedroht

Sie produzieren Flugblätter und Videos. Sie erklären in verpflichtenden Belegschaftsversammlungen während der Arbeitszeit die angeblichen Nachteile für das Unternehmen, falls eine Belegschaftsvertretung zustande käme. Die Profis bereiten Manager auf Vier-Augen-Gespräche mit Beschäftigten vor und organisieren Listen mit Unterschriften gegen die Gewerkschaft. Am Eingang zum Betrieb notieren und fotografieren Sicherheitsleute jeden, der ein Flugblatt der Gewerkschaften annimmt. 75 Prozent der Unternehmensleitungen beauftragen solche Profis.

Ein Drittel der Unternehmen entlassen Gewerkschaftsaktivisten während einer Kampagne zur Wahl einer Beschäftigtenvertretung. Häufig wird mit Betriebsschließung gedroht. Das ist zwar gesetzlich verboten und kann mit Bußgeldern belegt werden, stört aber kaum ein Unternehmen: Erstens sind die Bußgelder niedrig, zweitens werden sie meist gar nicht verhängt. Das war auch in Chattanooga der Fall: Die Drohung mit Arbeitsplatzverlusten hätte bestraft werden müssen, aber nichts geschah.

Zudem haben die USA bis heute sechs der acht Kernnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO nicht unterschrieben, vor allem nicht das Recht auf freien Zusammenschluss der Beschäftigten, auf kollektive Tarifverträge und auf gleichen Lohn für gleiche Arbeit von Mann und Frau. Aber auch von den 177 "technischen" ILO-Normen haben die USA nur elf ratifiziert. Nicht dabei unter anderem: der Schutz gegen Verstrahlung, Lärm und Giftstoffe, die Regelungen zur Nacht- und Teilzeitarbeit, zum Mutterschutz und die Rechte der Migranten, Hausangestellten und Landarbeiter.

TTIP-Gespräche stoppen

Übrigens: Der Mindestlohn in den USA beträgt 7,75 US-Dollar. Das sind 5,32 Euro. Ausnahmen sind möglich bis hinunter auf 2,13 US-Dollar. Mit einem solchen Partner haben es die abhängig Beschäftigten in Europa zu tun, wenn die EU das Freihandelsabkommen TTIP verhandelt. Der US-amerikanische Gewerkschafts-Dachverband AFL/CIO stellte schon im letzten Jahr fest: "Bisherige Abkommen dieser Art haben zu steigender Einkommensungleichheit und zu stagnierenden oder sinkenden Löhnen geführt". Deshalb fordert AFL/CIO-Chef Richard Trumka jetzt, die Verhandlungen auszusetzen.


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