Ausgabe 06/2014
Die Karotte vor der Nase
Fast die Hälfte aller neuen Arbeitsverhältnisse wird heutzutage befristet. Mit dem Projekt "(Un)Befristet" will ver.di Hamburg gegensteuern
Es sind keine guten Nachrichten, die vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) kommen: Trotz leichten Rückgangs im Jahre 2013 werden fast die Hälfte aller neuen Arbeitsverhältnisse in Deutschland nur noch befristet angeboten. Besonders stark betroffen sind laut IAB Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem aber junge Beschäftigte bis 35 Jahre.
Hamburg ist vorne mit dabei: Laut Statistikamt Nord ist die Dienstleistungsmetropole überdurchschnittlich stark betroffen. Fast zehn Prozent der abhängig Beschäftigten arbeiten in der Hansestadt in einem befristeten Arbeitsverhältnis. Ob im gewerblichen Bereich der Hamburger Krankenhäuser, bei Weiterbildungsträgern, im Wissenschaftsbereich, in öffentlichen Betrieben, im Handel, am Flughafen oder bei der Post (siehe auch ver.di publik 5/2014) - überall haben Beschäftigte mit Befristungen zu kämpfen. Gute Arbeits- bedingungen sehen anders aus.
Befristungen – die permanente Unsicherheit
Die Mär, über befristete Beschäftigung zu neuen regulären Jobs zu kommen, ist längst widerlegt. Lediglich ein Drittel der Befristeten wurde 2013 in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen, Tendenz sinkend. Dazu Nadine Zeibig von der Hans-Böckler-Stiftung: "Befristete Arbeitsverhältnisse führen nicht zu zusätzlicher Beschäftigung, sondern ersetzen unbefristete Beschäftigungsverhältnisse."
Die Arbeitgeber können mit Befristungen das Kündigungsschutzgesetz umgehen und das unternehmerische Risiko auf die Schwächsten im Betrieb abwälzen. Die Folgen für die Betroffenen sind gravierend. Die Lebens-, Familien- und Berufsplanung ist genauso schwierig wie die Aufnahme eines Kredites oder die Anmietung einer Wohnung. Im Betrieb machen Befristete fast alles, um bleiben zu dürfen. Sie verausgaben sich mehr und halten sich zurück beim Einfordern ihrer Rechte. Häufig lassen Befristete sich im Arbeitskampf zum Streikbruch verleiten - sie wollen ja entfristet werden. Auch die Untersuchung eines Hamburger Betriebsrats lässt aufhorchen: Befristete kommen offensichtlich viel häufiger krank zur Arbeit als ihre unbefristeten Kolleginnen und Kollegen.
Schluss mit Ketten- und sachgrundlosen Befristungen
Es mag im Einzelfall vernünftige Gründe für die Befristung des einen oder anderen Arbeitsvertrages geben; Vertretungen oder Projekte gehören dazu. Das Ganze darf aber nicht zu endlosen "Kettenbefristungen" führen, was zurzeit noch möglich ist. Sogenannte "sachgrundlose" Befristungen, wie sie mittlerweile für die Hälfte aller Betroffenen gelten, gehören ein für allemal vom Tisch. Mit dem Projekt "(Un)Befristet" will ver.di Hamburg Druck auf die Betriebe, die Kammern und den Senat machen, vor allem grundlosen Befristungen entgegenzuwirken. Gemeinsam mit Betroffenen sollen Aktionen auf betrieblicher und öffentlicher Ebene stattfinden. Ziel bleibt eine Änderung des Teilzeit- und Befristungsgesetzes auf Bundesebene. Es wird höchste Zeit.
Kontakt: bjoern.krings@verdi.de
Das sagen Hamburgerinnen und Hamburger zum Thema
Bianca und Madlin
"Wir kennen Leute mit befristeten Jobs. Für die bedeutet das seelischen Stress und die Ungewissheit, ob man sich wieder eine neue Stelle suchen muss oder nicht. Dreimal hintereinander befristet, wie erlaubt, das ist zu viel. Vielleicht ein Jahr, dann aber hop oder top." (Bianca, 24, und Madlin, 23)
Agnes
"Ich finde befristete Stellen sehr problematisch und bin selbst betroffen. Als Doktoranden sind wir immer vom Wohlwollen des Professors abhängig, wie es weitergeht. Das bedeutet für uns Zwang zu hoher Flexibilität und keine richtige Lebensplanung. Das Leben wird unzuverlässig." (Agnes, 29)
Bernd
"Befristete Jobs sind gerade für junge Menschen negativ. Früher wurden die geeigneten Auszubildenden übernommen, heute gehen sie oft in die Warteschleife der Befristung. Die Politik muss dafür sorgen, dass Anzahl und Dauer von Befristungen eingeschränkt werden." (Bernd, 55)