Ausgabe 06/2014
Was Klamotten wirklich kosten
Eine gemeinsame Initiative von ver.di, dem entwicklungspolitischen Netzwerk INKOTA und der Hilfs- und Menschenrechtsorganisation medico international fordert faire Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in Asien: "Ausbeutung ziehen wir uns nicht an". Die Vorsitzenden von DGB, ver.di und IG Metall fordern in ihrem Aufruf "Wir stehen am Anfang" zu Solidarität auf (Kasten)
#Untragbar-Aktion auf dem Berliner Alexanderplatz: für Löhne, die zum Leben reichen, und "langsame Mode", die man länger als ein paar Tage trägt
Anfang Juli sitzt eine junge Frau auf dem Berliner Alexanderplatz und näht. Mit ihrer Nähmaschine steckt sie in einer Mülltonne, auf der steht: "Fast Fashion Kills! Das ist #untragbar!" ("Schnelle Mode kostet Menschenleben!") Sie will auf die Näherinnen in Asien aufmerksam machen, die bis zu 14 Stunden an sechs Tagen in der Woche arbeiten, schlecht bezahlt, unter hohem Leistungsdruck, ungeschützt vor gefährlichen Unfällen. Damit die globalen Konzerne hohe Gewinne verbuchen. Und die Preise niedrig bleiben. Konsumenten bei uns können fünf T-Shirts auf einmal kaufen, von denen sie vielleicht nur drei jemals anziehen. Die anderen landen in der Tonne. Das geht, weil das Businesskonzept auf so niedrige Preise setzt, dass sie selbst bei schmalem Taschengeld zu bezahlen sind. Doch immer mehr Kunden werden sich der Situation bewusst und fordern, dass sich etwas ändert.
Die Frau im Müllcontainer harrt aus. Rundum strömen Touristen über den Platz, Jugendliche drängeln sich vor dem Hotel, in dem an diesem Tag die zweite Filiale des irischen Fashionlabels Primark in Berlin eröffnet wird. Selbst der Premierminister Irlands wird später noch erscheinen, um dem Ereignis die besondere Weihe zu geben. Doch es kommen nicht nur Leute auf Shoppingtour, sondern auch immer mehr Aktive, die gegen die miserablen Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken in Bangladesch und Pakistan protestieren wollen. Die Initiative #Untragbar berichtet, wie es bei den Herstellern der vor allem unter Jugendlichen beliebten Klamotten zugeht, und informiert über ihre Forderungen. "Zeitweilig waren die Schlangen bei uns und bei der Kleidertauschbörse der BUNDjugend auf dem Alex länger als die vor dem neuen Laden", berichtet Berndt Hinzmann vom Netzwerk INKOTA. Dabei gehe es nicht um einen Boykott bestimmter Läden. Sondern darum, wofür man sich einsetzt.
Das Dreierbündnis
Im April dieses Jahres haben die drei Organisationen sich zum #Untragbar-Bündnis zusammengeschlossen. Anlass war der Jahrestag von Rana Plaza: In Bangladeschs Hauptstadt Dhaka war ein Gebäude eingestürzt, in dem mehrere Textilfabriken produzieren ließen. Mehr als 1100 Menschen starben, 1500 wurden schwer verletzt.
"Die Initiative ist entstanden, weil es keine gesetzlichen Rahmenbedingungen gibt, die die Unternehmen haftbar machen", sagt Berndt Hinzmann. "Weder dort, in Ländern wie Bangladesch und Pakistan, noch hier bei uns." Es ist den Unternehmen überlassen, ob sie den Betroffenen und ihren Familien Entschädigungen zahlen, von denen sie leben und sich die notwendigsten medizinischen Behandlungen leisten können. Die Firmen entschließen sich dann zu einer Art Gnadenakt - oder eben auch nicht.
Primark kann man in diesem Fall zugute halten, schnell gehandelt, eine Million Dollar in den Hilfsfonds und zusätzliche neun Millionen Dollar an die Arbeiter/innen der für sie produzierenden Fabrik gezahlt zu haben. Dennoch gilt: "Was bisher in den freiwilligen Fonds eingezahlt wurde, ist zu wenig", so Hinzmann. Von sich aus reagierten die Unternehmen selbst nach den ersten Berichten und Forderungen nicht, sondern erst, als die direkte Verantwortung nicht mehr zu leugnen war. Deshalb wendet sich das #Untragbar-Bündnis zum einen an Unternehmen wie Primark, KiK und H&M, aber genauso an die Politiker/innen hier in Europa. "Sie müssen dafür sorgen, dass die Unternehmen die Arbeitsbedingungen in den Zulieferfirmen weltweit rechtzeitig verbessern - bevor ein weiteres Unglück geschieht", fordert Hinzmann. Die Sozialstandards müssten verbindlich für alle gelten, die Arbeitsrechte international eingehalten werden.
ver.di-Theater auf der Domplatte
Bessere gesetzliche Rahmenbedingungen - und ihre Einhaltung - sind wichtig. Aber auch auf jeden Einzelnen kommt es an, auf jede Kundin, jeden Kunden. Darauf setzt #Untragbar. Bei Aktionen wird die Frage in den Mittelpunkt gerückt, woher unsere Kleider eigentlich kommen. "Der Einzelne sollte etwas tun und kann es auch", so Hinzmann. Auch wenn ein paar Schüler, die in der Einkaufsstraße Flyer verteilen, vereinzelt wirkten - sie seien es nicht.
Am 23. August in Köln erregten die ver.di Jugend und Kolleg/innen aus dem ver.di-Fachbereich Handel auf der Domplatte mit einem Straßentheater Aufsehen: Junge Männer saßen an Nähmaschinen, emsig schuftend, von einer Gestalt in Schwarz mit Gebrüll zu immer höherem Tempo angetrieben. Neugierige wurden über die Arbeitsbedingungen in Südasien informiert, an einer Wäscheleine hingen Forderungen. Zu lesen war auch: "Wäre die Näherin eine Bank, hättet ihr sie schon gerettet!" Sina Alya Wunderlich von der ver.di Jugend sagt: "Wir haben nicht die Konsumenten als Täter dargestellt, sondern die Unternehmen. Da standen sogar Leute mit Primark-Tüten am Stand und waren von der Aktion begeistert." Wie entscheidend die Haftung der Unternehmen ist, betont Ulrich Dalibor vom ver.di-Fachbereich Handel: "Wir beobachten die Situation schon lange. Unseren Mitgliedern im Handel ist es wichtig, was sie täglich verkaufen und wie die Produkte entstanden sind. Sie wissen, dass freiwillige Verpflichtungen der Unternehmen, in denen sie arbeiten, nicht ausreichen."
Rund um den 11. September wird es viele Aktionen geben und der Aufruf der Gewerkschaften veröffentlicht (Kasten). Am 11. September 2012 waren in einer pakistanischen Textilfabrik, die für KiK produzierte, 259 Arbeiter/innen verbrannt. Die Hilfsorganisation medico international, die in Pakistan mit der Gewerkschaft National Trade Union Federation zusammenarbeitet, setzt sich für Entschädigungszahlungen an die Überlebenden und Hinterbliebenen der Opfer ein. "Der beste Katastrophenschutz ist aber, die Gewerkschaften dort zu stärken, zugleich die Firmen in ihre Schranken zu weisen und die Politik hierzulande in die Verantwortung zu nehmen", betont Anne Jung von medico. "Dafür brauchen wir so viel öffentlichen Druck wie möglich."