Jede Woche trifft sich der Personalrat der Uni Duisburg-Essen - und jede Woche müssen seine Mitglieder sich mit 60 bis 150 Arbeitsverträgen beschäftigen. Dabei sind sie nur für 3100 Wissenschaftler zuständig. Um des extremen Durchlaufs Herr zu werden, prüfen immer einige im Vorfeld der Sitzung lange Exel-Dateien: Nur wenn ein Arbeitsvertrag kürzer als ein Jahr laufen soll oder kleiner ist als eine Halbzeitstelle, verlangen die Personalräte von der Fakultät eine Erklärung. "Oft argumentieren die Professoren damit, dass ihr Budget einfach nicht mehr hergibt", berichtet die Personalratsvorsitzende Eva Zeppenfeld. Aber auch Anrufe bei den Betroffenen führen häufig zu nichts. "Ich bin froh, dass ich überhaupt was habe", hören die Beschäftigtenvertreter manchmal selbst dann, wenn ein Promovierender nur eine befristete Zehnstundenstelle als wissenschaftliche Hilfskraft ergattert hat.

Knapp 370.000 Menschen arbeiten wissenschaftlich oder künstlerisch an deutschen Hochschulen und Hochschulkliniken. Während in Frankreich und England lediglich ein Viertel befristet und weisungsgebunden angestellt ist und die Quote in den USA noch niedriger liegt, trifft das in Deutschland auf die große Mehrheit zu. Nur zwölf Prozent sind Professoren, der Großteil zählt zum "wissenschaftlichen Mittelbau". Wer hier forscht und lehrt, bekommt so gut wie immer nur einen Zeitvertrag. Etwa die Hälfte davon ist auf weniger als zwölf Monate ausgestellt. Viele Nachwuchswissenschaftler erfahren erst wenige Tage vor Vertragsende, ob es anschließend für sie an der Universität weitergeht oder sie zum Arbeitsamt müssen. Für die private und berufliche Planung sind solche Bedingungen fatal.

Schuld daran ist das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Anders als in anderen Arbeitsbereichen muss eine Hochschule keine Begründung liefern, warum sie den Vertrag für einen Nachwuchswissenschaftler befristet; im Prinzip gelten alle Stellen als Weiterqualifizierung und sind deshalb nicht auf Dauer angelegt. Selbst immer und immer wieder verlängerte Schnipselverträge gelten als gerechtfertigt. Außerdem legt das Gesetz fest, dass wissenschaftliche Mitarbeiter maximal sechs Jahre vor und sechs Jahre nach der Dissertation an einer Universität bleiben dürfen; wer danach keine der raren Professorenstellen ergattert hat oder mit einem weiteren Zeitvertrag in einem Drittmittelprojekt untergekommen ist, muss gehen. Zu diesem Zeitpunkt hat die Mehrheit schon den 40. Geburtstag hinter sich.

Trotz alledem gibt es kaum Widerstand. Vor allem in der Anfangszeit nehmen sich viele Jungwissenschaftler gar nicht als Arbeitnehmer wahr. Sie sind begeistert, sich mit ihrem Lieblingsthema beschäftigen zu können - und dafür auch noch bezahlt zu werden. Auch das gesellschaftliche Ansehen der Forschenden entschädigt oft für die weniger rosige Realität.

Tatsächlich verbringt ein Großteil des universitären Nachwuchses viel mehr Zeit als vereinbart damit, Literatur für den Professor zu besorgen, unbezahlt Lehrveranstaltungen abzuhalten oder Hilfstätigkeiten auszuführen. "Sie sind gefangen in einem Abhängigkeitssystem", beschreibt Eva Zeppenfeld die Situation. Promovierende sind auf die Betreuung und Bewertung durch Doktorvater oder -mutter angewiesen - und auch jede Vertragsverlängerung hängt von ihnen ab. Da halten viele lieber den Mund.

Genau hier setzt die Kampagne "Fairspektive" an. An sieben Hochschulen hat ver.di Vernetzungstreffen von Nachwuchswissenschaftlern initiiert. "Viele haben da zum ersten Mal erkannt, dass ihre Arbeitsbedingungen nicht ihr persönliches Problem sind und dass es keine Anstellerei ist, wenn sie damit Schwierigkeiten haben", berichtet Gewerkschaftssekretärin Britta Hamann. Um das Tabu zu brechen, konfrontierte die Gruppe an der Berliner Humboldt-Universität den akademischen Senat immer wieder mit dem Thema: Wer zur Sitzung eilte, sah sich mit eindeutigen Hinweisen in Sprechblasen auf dem Fußboden konfrontiert. Auch ein Bündnis mit Studierenden kam zustande; schließlich leidet die Lehre, wenn die Dozenten ständig damit beschäftigt sind, Verlängerungen zu beantragen oder Quellen für Drittmittel aufzutun. Inzwischen ist die Initiative bis zum Hochschulpräsidenten vorgedrungen: Jan-Hendrik Olbertz hat seine prinzipielle Bereitschaft erklärt, sich mit dem Thema intensiv auseinanderzusetzen. "Es bewegt sich was", sagt Hamann.

Auch vor Gericht ist es mittlerweile gelungen, den ausufernden Folgen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes in einigen Fällen Grenzen zu setzen. So klagte eine promovierte Japanischlehrerin aus Freiburg erfolgreich vorm Bundesarbeitsgericht auf Festeinstellung (7 AZR 827/09 vom 1.6.2011). Schließlich handelt es sich bei ihrer Arbeit eindeutig um eine Daueraufgabe und nicht um ihre persönliche Weiterqualifizierung. Immerhin haben viele Hochschulen daraufhin entsprechende Stellen ebenfalls entfristet.

Gesetzeslage treibt den Nachwuchs ins Ausland

Selbst der Regierung dämmert inzwischen, dass Handlungsbedarf besteht - nicht zuletzt, weil die deutsche Gesetzeslage viele Nachwuchswissenschaftler ins Ausland treibt. Im Juli legte die SPD Eckpunkte zur Veränderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes vor: Doktorandenstellen sollen demnach für mindestens zwei Jahre ausgeschrieben werden und Arbeitsverträge in Drittmittelprojekten so lange laufen, wie das Forschungsprojekt. Zwar räumt auch die CDU ein, dass es ein Problem gibt. Doch ob sie deshalb das Gesetz novellieren will, weiß sie noch nicht.