Fahrerlose Bahnen, Kassen ohne Kassiererinnen, ständiges Reagieren auf E-Mails. So sieht der Alltag für viele Menschen schon jetzt aus. Welche Auswirkungen hat das auf die Qualität der Arbeit, auf Selbstbestimmung und Demokratie? Fragen, die kürzlich auf einer ver.di-Tagung diskutiert wurden. ver.di publik hat vier Teilnehmer/innen nach ihren Erfahrungen gefragt. Sie fordern mehr Datenschutz und einiges mehr

Wenn "Nein" die Antwort auf die Mehrheit dieser Fragen ist, haben wir Probleme. Die interaktive Installation von Studenten der Fachhochschule Potsdam war Teil der ver.di-Tagung

Protokolle: Claudia von Zglinicki

Die Grenzen verschwimmen

Kathrin Lang, Diplom-Sozialarbeiterin, Vorsitzende des Gesamtpersonalrats der Stadtverwaltung Düsseldorf

Fast jede Arbeit ist bei uns von digitalen Abläufen durchdrungen, selbst das Verteilen von Knöllchen. Mobile Arbeit wird am Smartphone geleistet, das ist effektiv und schnell. Aber die positiven Effekte der Technisierung haben eine Kehrseite: Die Beschäftigten sind ständig erreichbar. Es wird erwartet, dass sie sofort reagieren, egal wo sie gerade sind. Vorgesetzte denken: "Du hast doch ein Smartphone, geh mal schnell ran, auch im Urlaub!" Der Druck wächst. Abends hat man eigentlich frei, aber man beantwortet noch schnell ein paar Mails. Die Grenzen zum Feierabend verschwimmen.

Die Beschäftigten müssen sich selbst mehr schützen, wir müssen ihnen als Personalräte dabei zur Seite stehen. Was kann man in Dienstvereinbarungen regeln? Man kann durchsetzen, dass dienstliche E-Mails nach 19 Uhr nicht mehr übertragen werden. Viele unserer Kollegen, gerade jüngere, müssen wir vor sich selbst schützen, müssen ihnen bewusst machen: Arbeitszeitende ist Arbeitszeitende. Dein Smartphone mag toll sein, aber irgendwann kippt das, wenn du der ständigen Erreichbarkeit keinen Riegel vorschiebst. Wir haben hier in Düsseldorf das Instant-Messaging-System verhindert, mit dem jeder Chef sehen könnte, wer gerade online ist, und eine Nachricht schicken könnte, die sofort auftaucht. Das sollte installiert werden, aber über die Mitbestimmung konnten wir das ausschließen. Was an Kontrollen erlaubt sein soll, muss über Mitbestimmungsverfahren geregelt werden, zu unzulässigen Einzelauswertungen der Arbeit darf es nicht kommen - auch wenn das technisch geht. Das ist unsere Verantwortung als Personal- oder Betriebsräte. Wir müssen die Mitbestimmungsrechte ausschöpfen, jede neue Software kritisch hinterfragen, selbst wenn nur fünf Leute damit arbeiten.

Wir vereinbaren gerade eine Dienstvereinbarung für elektronische Schließsysteme, damit die Bewegungsprofile der Beschäftigten nicht in Transpondern an den Schlüsseln gespeichert werden. Unser Grundprinzip ist Datensparsamkeit. Wenn weniger gespeichert wird, gibt's für die Chefs auch weniger auszuwerten!


Intimste Details unseres Lebens

Nils Pawlik, Krankenpfleger in der Anästhesie, Klinikum Stuttgart, Mitglied des Personalrats

Was wir in der Pflege machen, wird digital erfasst. Die Arbeitszeiten der Beschäftigten, ihre Wege in der Klinik, aber auch die Daten der Patienten. Das sind die intimsten Details unseres Lebens: Welche Krankheiten habe ich, welche Essgewohnheiten? Bin ich impotent, Alkoholiker, Gelegenheitskiffer? Ich bin nicht gegen moderne Technik, ich will nicht ohne Smartphone und Tablet auskommen, keine Frage. Man könnte mit der Technik noch viel mehr machen, auch in der Klinik, aber es gibt kein anständiges Konzept dafür. Das Patientendatensystem ist nicht gerade zuverlässig. Eine Unmenge an Daten wird gesammelt, die müssen zehn oder sogar 30 Jahre aufbewahrt werden. Wir müssen alles erfragen, gnadenlos. Alte Arztbriefe werden gespeichert. Ich habe den Patienten oft noch gar nicht gesehen, aber nach der Medikamentenliste habe ich schon ein klares Bild, was für ein Mensch mir gleich begegnet. Es geht um eine riesige Datenbank, die nicht sicher ist. Kein Programm kümmert sich um Löschmöglichkeiten. Kein Patient wird gefragt, was über ihn gespeichert werden darf und was nicht.

Mit der elektronischen Gesundheitskarte gäbe es die Chance, eine konsequente Verschlüsselung einzusetzen. Die Chance ist verspielt. Mit der Karte werden dann alle Daten gesammelt, für alle einsehbar, die die Karte knacken können. Ich traue diesem System nicht, es geht nur um Kosteneinsparungen, nichts anderes. Deshalb werden wir irgendwann unzufrieden mit der Karte dasitzen und haben dann eben Pech gehabt. Wir brauchen einen übergreifenden Standard für alle Kliniken, wie wir mit den Daten umgehen. Der Patient muss entscheiden können, was wie lange gespeichert werden soll. Er muss bestimmen, wer seine Daten ansehen darf. Daten müssen erhoben werden. Aber auch geschützt.


In Zukunft wegrationalisiert

Brigitte Dumke, Busfahrerin, Frauenvertreterin für drei Betriebshöfe der Berliner BVG

Schon jetzt gibt es Kassen ohne Kassiererinnen und U-Bahnen ohne Fahrer. Fahrerlose Transportmittel sind die Zukunft, die nahe Zukunft. Das Schlimme daran ist für mich, dass wir uns auf diese Weise selbst wegrationalisieren, durch die immer bessere Beherrschung der immer besseren Technik. Es entstehen ein paar neue Jobs, aber eine große Zahl noch vorhandener Arbeitsplätze fällt weg. Das ist vielen Beschäftigten der Verkehrsunternehmen noch nicht klar, aber es wird schneller passieren, als wir denken. Bei uns im Unternehmen sind wir gerade dabei, Frauen als Fahrerinnen für Busse und Straßenbahnen zu gewinnen. Wo bleiben die in ein paar Jahren?

Eine Folge der Digitalisierung ist auch die ständige Ortung der Kollegen. Es kann kontrolliert werden, wo sie sind, in jedem Moment ihres Arbeitstags. Man kann viel machen mit der Technik, den Spritverbrauch kontrollieren und anderes. Aber vor der Überwachung müssen wir uns schützen. Dafür muss ein gutes Beschäftigtendatenschutzgesetz her - und die Kontrolle, dass es auch eingehalten wird.


Das gute alte Briefgeheimnis

Detlef Girke, selbstständiger Berater für barrierefreie It

Ich bin stark sehbehindert und wusste schon früh, dass ich immer individuelle Bildschirmeinstellungen brauchen werde. Ich habe mir selbst meinen Arbeitsplatz als Berater geschaffen, mein Berufsleben ist fast komplett digital. Ich halte zwar auch Vorträge, aber meist sitze ich am Bildschirm, berate Firmen und Behörden. Bundesbehörden sind seit 2002 verpflichtet, ihre öffentlich zugänglichen Inhalte barrierefrei zu gestalten, und die meisten Bundesländer haben sich dem angeschlossen. Ich prüfe ihre Webauftritte und begleite Ausschreibungen, berate bei der Neuanschaffung von Programmen und Verwaltungsverfahren. Gerade für Sehbehinderte ist ihre eigene Sicherheit am Computer entscheidend. Ein Blinder weiß nicht, ob andere am Monitor mitlesen können. Bei Geräten mit Sprachausgabe am Arbeitsplatz merkt er nicht, wenn andere mithören. Seit dem 11. September schlägt das Pendel zwischen den Polen Bürgerrechte und Sicherheit des Staates immer mehr in Richtung Sicherheit aus. Ich bin aber mehr der "Freiheit statt Angst"-Typ. Das Briefgeheimnis ist ein elementares Bürgerrecht seit dem 19. Jahrhundert. Jetzt haben wir E-Mails, meist unverschlüsselt, und Geheimdienste kontrollieren unsere Korrespondenz. Ja, es ist schade, dass wir verschlüsseln müssen, dass das nötig ist, aber noch viel mehr bedaure ich, dass wir uns damit verdächtig machen. Wer sagt: "Ich hab' nichts zu verbergen", gibt damit nur zu, dass er seine Art der Kommunikation schon verändert hat.

Ich nutze Google, Ebay und Co., aber ich sorge mit der Verschlüsselung dafür, dass ich möglichst keine Spuren im Netz hinterlasse, dass Suchanfragen gelöscht werden. Wir brauchen ein Grundrecht auf Verschlüsselung und müssen uns gegen die ständige Überwachung zusammentun. Sonst verlieren wir immer mehr Rechte. Es war gut, auf der ver.di-Tagung so viele Leute zu treffen, die die Probleme sehen und etwas tun.

www.bitvconsult.de

Gute Arbeit im digitalen Zeitalter

Die Möglichkeiten der Informations- und Kommunikationstechnik verändern unsere Gesellschaft tiefgreifend. Es entstehen neue Formen der (Zusammen-)Arbeit, verbunden mit Produktivitätsfortschritten, neuen Wertschöpfungsketten, neuen Geschäftsmodellen und veränderten Arbeits- und Steuerungsprozessen. Die Digitalisierung führt zu einer stark ausgeweiteten Transparenz der Arbeit, der Güter- und Informationsströme sowie des Kundenverhaltens. Die Anforderungen an Flexibilität und Mobilität für Unternehmen, Verwaltungen und arbeitende Menschen erhöhen sich. Die Bundesregierung und ver.di haben das gemeinsame Grundverständnis, diese Veränderungsprozesse zu gestalten. Sie verfolgen das Ziel, die Voraussetzungen für nachhaltiges und soziales Wachstum sowie Gute Arbeit und Gute Dienstleistungen zu schaffen.

Deshalb muss eine systematische Wirtschafts- und Dienstleistungspolitik die Veränderungen auch im Sinne der Beschäftigten und der Verbraucherinnen und Verbraucher gestalten. Benötigt wird z.B. eine Dienstleistungspolitik, die unter Beteiligung der Nutzerinnen und Nutzer bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Urheberrechte sowie der Meinungs-, Informations- und Pressefreiheit soziale und technologische Innovationen fördert, die zu guten Dienstleistungen im digitalen Zeitalter führen. ...

Die Sicherstellung der persönlichen Hoheit und Verfügung über die eigenen Daten ist eine weitere Herausforderung. Die Wahrung demokratischer Grundrechte im digitalen Zeitalter betrachten wir daher als eine zentrale Aufgabe. ...

11. September 2014

(Aus der Gemeinsamen Erklärung von ver.di und dem Bundeswirtschaftsministerium "Gute Arbeit und Gute Dienstleistungen im digitalen Zeitalter")