Dierk Hirschel leitet den Bereich Wirtschaftspolitik beim ver.di-Bundesvorstand

Am Konjunkturhimmel ziehen dunkle Wolken auf. Die Wirtschaftsexperten korrigieren ihre Wachstumsprognosen nach unten. Auch die Bundesregierung blickt pessimistischer in die Zukunft. Dieses Jahr soll die Wirtschaft nur noch um ein bis 1,5 Prozent wachsen. Für nächstes Jahr sieht es nicht wesentlich besser aus.

Schuld an der Wachstumsschwäche sind aus wirtschaftsliberaler Sicht die schwarz-roten Sozialreformen. Gesetzlicher Mindestlohn und Rentenpaket killen angeblich die Konjunktur. In Erwartung steigender Arbeitskosten und sinkender Gewinne investieren die Unternehmen weniger, so die Behauptung. Deswegen kommt jetzt der Nahles-Abschwung. Und damit es nicht noch schlimmer wird, will der bayerische Finanzminister Markus Söder alle zukünftigen Regierungsvorhaben auf ihre Wirtschaftsfreundlichkeit testen. Beginnen sollte er mit dem großen Prestigeprojekt seines Kollegen Wolfgang Schäuble, der schwarzen Null. Um die zu erreichen, lehnt Schäuble mehr öffentliche Investitionen beharrlich ab.

Ursächlich für das magere Wachstum ist die schwache Binnennachfrage. Die Unternehmen investieren trotz hoher Nettogewinne und niedriger Zinsen zu wenig. Ihre Maschinen und Anlagen sind aufgrund mangelnder Nachfrage nicht ausgelastet. Folglich erweitern nur wenige Unternehmer ihre Produktionskapazitäten. Zudem lässt die Kauflust der Verbraucher zu wünschen übrig. Der private Konsum wächst nur moderat. Auch der Staat ist keine Konjunkturlokomotive. Wolfgang Schäuble führt den Staatshaushalt wie den Privathaushalt einer schwäbischen Hausfrau. Die öffentliche Hand soll nicht mehr Geld ausgeben, als sie einnimmt. Eventuelle Überschüsse fließen in die Schuldentilgung. Für mehr staatliche Investitionen aber ist kein Geld da. Wenn dann auch noch der Exportmotor ausfällt, geht es mit der Konjunktur bergab.

Es gibt aber auch eine gute Nachricht: Die konjunkturelle Talfahrt ist kein Naturereignis. Die künftige wirtschaftliche Entwicklung ist politisch steuerbar. Jetzt ist Zeit für Konjunkturpolitik. Dabei sollte ein Schwerpunkt auf öffentlichen Investitionen liegen. Wenn Bund, Länder und Kommunen wieder kräftig investieren, können sie mehrere Fliegen mit einer Klappe schlagen. Öffentliche Investitionen sind gut für Konjunktur, Wachstum und sozialen Zusammenhalt. Ein Staat, der investiert, kurbelt das Wachstum an. Für jeden auf Pump investierten Euro steigt das Sozialprodukt um 1,3 bis 1,8 Euro.

Zu tun gibt es genug. Die Straßen sind voller Löcher. Brücken drohen einzustürzen. In den Schulen fällt der Putz von den Wänden. Der Wind- und Solarstrom kommt nicht von Nord nach Süd. Den Krankenhäusern fehlen neue medizintechnische Geräte. Und auf dem Land lahmt das Internet. Die staatlichen Nettoinvestitionen - Bruttoinvestitionen abzüglich Abschreibungen - sind seit 2003 im roten Bereich. Der öffentliche Kapitalstock verfällt.

Dieser Verschleiß kann sofort gestoppt werden. Finanzieller Spielraum für mehr Investitionen ist vorhanden. Er muss nur genutzt werden. Selbst die ökonomisch unsinnigen Berliner und Brüsseler Schuldenregeln erlauben es dem Finanzminister, sein Konto bis 2018 um 150 Milliarden Euro zu überziehen. Und das zu Tiefzinsen. Wer jedoch investieren will, ohne neue Schulden zu machen, der kann auch alternativ die Steuern der Vermögenden erhöhen.

Die Gewerkschaften können ebenfalls zur Konjunkturbelebung beitragen. Höhere Löhne füttern den privaten Konsum und kurbeln das Wachstum an. ver.di, IG Metall & Co müssen da weitermachen, wo sie aufgehört haben. Nach der großen Finanzmarktkrise gab es eine positive Trendwende bei den Löhnen. Seitdem steigen die Reallöhne wieder. Gute Tarifabschlüsse helfen dabei, diese Entwicklung fortzuschreiben. Der sogenannte verteilungsneutrale Spielraum - erwarteter Inflations- plus Produktivitätsanstieg - liegt nächstes Jahr zwischen zwei und 3,5 Prozent. Abschlüsse, die vorhandene Spielräume ausschöpfen, stabili-sieren die Binnennachfrage. Ferner wird die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns die allgemeine Lohnentwicklung stützen. Die Lohnsumme steigt mit Hilfe der gesetzlichen Lohnuntergrenze.

Gute Tarifabschlüsse, gesetzlicher Mindestlohn und mehr öffentliche Investitionen sind die besten Rezepte gegen aktuelle Kreislaufschwäche. Sie stärken die Binnennachfrage und schieben die Konjunktur an. Das hilft auch unseren kriselnden Nachbarn. Italiener, Spanier und Franzosen können dann mehr Güter und Dienstleistungen auf unseren Märkten verkaufen. Was für uns gut ist, ist in diesem Fall auch gut für Europa.

Die konjunkturelle Talfahrt ist kein Naturereignis. Jetzt ist Zeit für Konjunkturpolitik.