Ausgabe 08/2014
Tausende Jobs in Gefahr
Auch in Wilhelmshaven stiegen um fünf vor 12 Uhr tausende Luftballons vor dem Kraftwerk auf
"Besser, wenn man Reserven hat": Der bundesweite ver.di-Aktionstag unter diesem Motto war ein voller Erfolg. Allein im Landesbezirk Niedersachsen-Bremen protestierten im Oktober mehr als 3500 Beschäftigte von Gas- und Kohlekraftwerken für die Einführung eines "Kapazitätsmarktes" zur Absicherung konventioneller Kraftwerke. In Hannover, Bremen, Braunschweig, Wilhelmshaven und Lingen fanden Kundgebungen statt, und um 11 Uhr 55 stiegen mehrere tausend Luftballons auf, um die Botschaft "Es ist fünf vor zwölf!" symbolisch nach Berlin zu tragen.
50 Anträge auf Stilllegung
Die Lage auf dem Strommarkt ist dramatisch. Angesichts der Pläne vieler Energieversorger, weitere Kraftwerke stillzulegen, fordert ver.di nun zum Nachsteuern bei der Energiewende auf. "Bundesweit rechnen sich auch modernste und effizienteste Gas- und Kohlekraftwerke aufgrund der zunehmenden Einspeisung von Wind- und Solarstrom im bestehenden Strommarkt nicht mehr. Weil deshalb die Stilllegung von Kraftwerken droht, muss ein Kapazitätsmarkt etabliert werden, der die Bereitstellung von gesicherter Leistung angemessen honoriert. Es stehen bundesweit 20.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel", erläutert ver.di-Fachbereichsleiter Immo Schlepper.
Wind und Sonne stünden nicht zu jeder Tages- und Nachtzeit zur Verfügung, und Strom könne immer noch nicht im ausreichenden Maße gespeichert werden. "Daher brauchen wir weiterhin die konventionelle Stromerzeugung", so der ver.di-Energieexperte. "Anderenfalls wird es in Zukunft zu Engpässen in der Stromversorgung kommen, und die Energiewende bleibt auf halbem Wege stehen." Derzeit bestehe aber keine ausreichende Planungs- und Investitionssicherheit für konventionelle Kraftwerke. Als Folge ziehen sich immer mehr Betreiber von Gas- und Kohlekraftwerken zurück: Gegenwärtig muss die Bundesnetzagentur über rund 50 Anträge auf Stilllegung von Kraftwerksblöcken befinden. Damit sei jeder dritte Job in diesem Bereich in Gefahr.
Beispiel Hannover: Hier geben die Stadtwerke bis 2020 nicht nur rund 500 Millionen Euro für erneuerbare Energien aus, sondern sie haben mehr als 160 Millionen Euro in eines der modernsten deutschen Gaskraftwerke in Hannover-Linden investiert. Doch der Betrieb rechnet sich nicht mehr. Das Kraftwerk nur bei Kälte oder tageweise laufen zu lassen, sei "ein Skandal". Und weil den Stadtwerken zudem ein Verlust von 25 Millionen Euro in der Stromerzeugung droht, beteiligte sich auch Hannovers Stadtspitze inklusive Oberbürgermeister Stefan Schostok, SPD, am Protest der Kraftwerker.
Beispiel Braunschweig: Hier forderten 490 Beschäftigte der BS|Energy-Gruppe in einem offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, SPD eine Neuausrichtung der politischen Rahmenbedingungen und ebenfalls einen Kapazitätsmarkt: "Gesicherte Leistung muss einen Preis haben." Das Schreiben wurde auch von Vorständen, Geschäftsführungen, Betriebsräten und Vertrauensleuten von BS|Energy unterzeichnet.