von Helga Ballauf und Henrik Müller

Immer eiliger hat es die schwarz-rote Bundesregierung mit ihrem Gesetz zur Erzwingung der Tarifeinheit im Betrieb. Bereits am 5. März ging im Bundestag die 1. Lesung über die Bühne. Zeit für eine gründliche parlamentarische Debatte ist kaum vorgesehen, ganz zu schweigen von einer politischen Klärung, wozu ein solches Gesetz gut sein soll und wem die damit verbundene Einschränkung des Grundrechts auf Streik am Ende nützt.

Dabei ist die Gegenwehr groß. Klagen beim Bundesverfassungsgericht werden schon vorbereitet. Die DGB-Gewerkschaften ver.di, Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) sowie Erziehung und Wissenschaft (GEW) sammeln unter der Überschrift "Tarifeinheit: Ja, Eingriff ins Streikrecht: Nein" Unterschriften: Mehr als 60.000 waren es Anfang März. Der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske sagt: "Tarifeinheit ist grundsätzlich erstrebenswert, damit Beschäftigte nicht gegeneinander ausgespielt werden. Aber das müssen wir mit gewerkschaftlichen Mitteln erreichen."

Recht verstanden steckt in diesem Satz ein dauerhafter Auftrag für die eigene Organisation in einer Tariflandschaft, in der es immer schon und immer wieder Konkurrenz zwischen Gewerkschaften um Mitglieder und Erfolge bei der Gestaltung der Arbeitsbedingungen gab und geben wird. ver.di ist dabei häufig herausgefordert, nicht nur von Spartengewerkschaften, sondern auch innerhalb des DGB.

Es gibt jedoch genügend Erfahrungen und Erfolge, von denen die Bundesregierung und ihre Juristen nicht die geringste Ahnung zu haben scheinen - wie insbesondere ihre dürftigen Antworten auf 42 Fragen der grünen Bundestagsabgeordneten Beate Müller-Gemmeke im Zusammenhang mit dem vorliegenden Gesetzentwurf (http://tinyurl.com/kjgxg87) nahelegen.

Beispiel Zeitungsredaktionen

Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) als zuständige ver.di-Berufsgruppe organisiert angestellte Redakteur/innen und freie Mitarbeiter/innen der verschiedenen Printmedien. Das Gleiche tut der Journalistenverband (DJV) als eigenständige Organisation. In den 1980er Jahren war - auf dem Weg zur Mediengewerkschaft im DGB - eine Fusion beider Organisationen im Gespräch, am Ende scheiterte der Zusammenschluss aber. Heute unterscheiden sich die "Mehrheitsverhältnisse" in den Redaktionen von Betrieb zu Betrieb, von Region zu Region. Bei Tarifverhandlungen für Redakteur/innen an Tageszeitungen zieht man aber seit fast einem halben Jahrhundert meistens an einem Strang - bis hin zur Organisation gemeinsamer Streiks.

Das bringt den Zeitungsjournalist/innen eine gewisse Ruhe und Verlässlichkeit. Und auch die Betriebsräte wissen, woran sie sind. Egal, wie viele Mitglieder jeweils die dju/ver.di oder der DJV hat. Kein Wunder, dass ver.di-Mitglied Klaus Schrage, Betriebsratsvorsitzender beim Verlag Nürnberger Presse (Nürnberger Nachrichten, Nürnberger Zeitung) vom geplanten Tarifeinheitsgesetz nichts hält: "Das wäre das Ende der faktischen Kooperation von dju und Journalistenverband im Tarifgeschäft. Stattdessen müsste jede Organisation um mehr Mitglieder buhlen."

Mit gravierenden Folgen: "Das würde die Gewerkschaften insgesamt schwächen und den Flächentarifvertrag weiter gefährden", sagt Journalist Schrage. Und angesichts der Tatsache, dass der betrieblichen Interessenvertretung das Druck- und Machtmittel des Streiks fehlt: "Arbeitgeber wollen gern tarifliche Entscheidungen auf die betriebliche Ebene verlagern. Aber wir Betriebsräte haben nicht die Kraft, uns dabei durchzusetzen."

Auch Josef Karg ist Journalist und freigestellter Betriebsratsvorsitzender in einem Zeitungsbetrieb. Er ist im Journalistenverband DJV organisiert, wie die Mehrheit der Redakteur/innen bei der Presse-Druck- und Verlags-GmbH (Augsburger Allgemeine). 1300 Beschäftigte arbeiten bei "Presse-Druck" in Verlag, Druckerei und Redaktion, DJV und ver.di haben ähnlich viele Mitglieder im Betrieb, schätzt der Betriebsrat.

Josef Karg favorisiert den "Wettbewerb der Ideen" zweier konkurrierender Organisationen, wenn sie zugleich in der Lage sind, im Tarifgeschäft "sehr nah zusammenzurücken". Das Zusammenraufen sei ein Wert an sich, sagt er, die Ergebnisse würden so von vielen getragen. Der Betriebsrat wünscht sich, dass Journalistenverband und dju gemeinsam kreativ werden, "um mehr Leute zu organisieren". Es sei ein Problem, so Karg, wenn einzelne Berufsgruppen wie Lokführer, Ärzte oder Piloten die Solidarität aller Beschäftigten aufkündigten, um für sich selbst mehr herauszuholen. Dafür eine Lösung zu finden, sei aber Aufgabe der Gewerkschaften - und nicht des Gesetzgebers.

Beispiel Luftverkehr

Tarifverträge schließen neben ver.di in der Luftverkehrs-Branche auch die Vereinigung Cockpit (VC), die Unabhängige Flugbegleiter Organisation (Ufo) und die Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) ab. Der Flugverkehr ist ein hochsensibler Bereich, in dem wenige Streikende genügen, um den ganzen Betrieb lahmzulegen. "Wir arbeiten mit allen Gewerkschaften zusammen, innerhalb und außerhalb des DGB, wenn es geht", sagt Christine Behle, Mitglied des ver.di-Bundesvorstands und Leiterin des Fachbereichs Verkehr. Zugleich ist sie davon überzeugt: Wer sich bei Tarifverhandlungen auf Kosten aller anderen durchsetzen will, schneidet sich mittelfristig ins eigene Fleisch. "Weil sich der Arbeitgeber neue Mittel und Wege überlegt, wie er eine bisher unangreifbar starke Stellung einer Berufsgruppe untergraben kann", so Behle. Bei den Piloten sieht sie bereits entsprechende Anzeichen.

Es geht in der Luftfahrt aber auch anders, wie der Fall easyJet zeigt. Das Betriebsverfassungsgesetz sieht für Piloten und Flugbegleiter statt eines Betriebsrats eine per Tarifvertrag eingerichtete Interessenvertretung vor. Als die britische Fluglinie sich in Berlin niederließ und die Piloten einen solchen Tarifvertrag wollten, zeigte die Vereinigung Cockpit (VC) wenig Interesse, erinnert sich Bordvertreter Erik van Wingerden: "So kam ver.di ins Spiel." Piloten und Kabinenpersonal waren sich schnell einig: "Wir machen die Arbeit an Bord gemeinsam. Dann wollen wir auch gewerkschaftlich an einem Strang ziehen", sagt van Wingerden.

Also handelte ver.di auch die materiellen Arbeitsbedingungen für die inzwischen mehr als 500 easyJet-Beschäftigten aus. Dem Unternehmen ist es inzwischen recht so, sagt van Wingerden: "Die Firma will eine Gewerkschaft als Gegenüber, nicht drei." Für den zuständigen ver.di-Tarifsekretär Holger Rößler steht fest: "easyJet ist ein Präzedenzfall. Daran sieht man, dass wir es können." Und das, so hofft er, wird Kreise ziehen.

Beispiel Sozial- und Erziehungsdienst

Der Sozial- und Erziehungsdienst steckt als "Branche" gerade in einer Tarifauseinandersetzung. Hier konkurrieren zwei DGB-Gewerkschaften um Mitglieder, ver.di und GEW. Der Sozial- und Erziehungsdienst ist Teil der sogenannten "Daseinsvorsorge", den maßgebliche Politiker gerne völlig streikfrei halten möchten. In dem wochenlangen Arbeitskampf 2009 um die Aufwertung des Berufsstandes konnten beide Gewerkschaften gemeinsam nahezu 150.000 Beschäftigte mobilisieren.

Es gelang, die Öffentlichkeit für die eigenen Anliegen zu gewinnen. Laufend berichteten Mütter und Väter, dass ihr eng getakteter Alltagsablauf zusammenbricht, wenn die Kita wegen Streiks geschlossen ist, und dass sie selbst Auffanglösungen organisieren müssen. Und dennoch folgte fast immer der Nachsatz: "Trotzdem unterstützen wir den Streik. Denn wir wollen, dass unser Kind von qualifizierten Fachkräften betreut wird, die auskömmlich bezahlt werden und sich wohlfühlen in der Arbeit." So viel Tarifeinheit war selten.