Ausgabe 04/2015
Eherne Gesetze der SPD verletzt
Rudolf Dressler war von 1980 bis 2000 SPD-Bundestagsabgeordneter und dann bis 2005 deutscher Botschafter in Israel
Bevor unsere zweite deutsche Republik 70 Jahre alt wird, hat es die sozialdemokratische Parteiführung geschafft, eine Reihe ehemals eherner politischer Grundsätze zu verlassen. Die Einschränkung der Leiharbeit wurde zur Ausweitung. Die Befristung des Arbeitsverhältnisses als begründete Ausnahme wurde zur Normalität ohne Begründung. Die paritätische Finanzierung unserer Sozialversicherungssysteme wurde zu Lasten des Faktors Arbeit aufgegeben. Keine zwei Jahre nach Begründung der aktuellen großen Koalition wird nun unter Federführung einer sozialdemokratischen Arbeitsministerin ein Gesetz beschlossen, das es der Politik ermöglichen soll, die Verhältnismäßigkeit von Streiks zu definieren: das Tarifeinheitsgesetz!
Wenn wir uns jetzt noch erinnern, dass in der letzten Periode des Bundestages die FDP-Ministerin Leutheusser-Schnarrenberger einen solchen Gesetzeswunsch der CDU/CSU verhindert hat, wird die Peinlichkeit für die SPD-Führung gewaltig. Leutheusser-Schnarrenberger hat das Begehren der Union als verfassungswidrig angesehen. Die SPD-Politikerin Nahles stört das nicht.
Das kleine Grundgesetz-Abc lehrt uns, dass es sich bei Tarifautonomie und Streikrecht um eherne Verfassungsgrundsätze handelt, die nicht verletzt werden dürfen. Auch nicht von einer großen Koalition, die sich auf 80 Prozent der Bundestagsmandate stützt. Vielleicht ist diese erdrückende Mehrheit der Grund für die schnelle Verabschiedung des Gesetzes. Die letzten Arbeitskämpfe waren besonders unangenehm. Viele Politiker zeigten sich regelrecht genervt. Schnell wurde die These vertreten, die "Daseinsvorsorge" sei beeinträchtigt - weil etliche Züge vorübergehend nicht fuhren.
Wie dürftig die Argumentation der SPD ausfällt, machte deren stellvertretender Vorsitzender Ralf Stegner deutlich mit der Erklärung, seiner Partei gehe es mit dem Tarifeinheitsgesetz "überhaupt nicht darum, das Streikrecht einzuschränken". Vielmehr solle bewirkt werden, dass Gewerkschaften sich nicht untereinander streiten. Wie bitte? Sozialdemokraten machen neuerdings ein Gesetz, das Streit innerhalb der Gewerkschaften unterbindet? Fällt der SPD in der großen Koalition sonst nichts mehr ein?