Sie verteidigen auch ihr Recht auf Streiks - Demonstration in Manchester

Europaweit ist das Streikrecht in Gefahr. In vielen Ländern werden Gesetze auf den Weg gebracht, die gewerkschaftliche Rechte begrenzen, doch Großbritannien steht in dieser Sache ganz vorne an. Im November findet dort die dritte Lesung eines Gesetzentwurfs für ein "Gewerkschaftsgesetz" im Unterhaus statt. Besonders die Transportgewerkschaften und die Gewerkschaften im öffentlichen Dienst soll das Gesetz ins Visier nehmen. Denn diese Gewerkschaften sind es, die in den vergangenen Jahren die meisten Arbeitskämpfe im Land geführt haben. Kein Wunder: Die britische Regierung baut Stellen ab, privatisiert und schließt öffentliche Einrichtungen - und das im großen Stil. Hunderttausende Beschäftigte im öffentlichen Dienst könnten in den nächsten Jahren ihren Job verlieren.

Damit sie sich künftig schlechter dagegen wehren können, sieht das Gesetz eine Reihe von neuen Behinderungen für Gewerkschaften vor. Dazu gehört die Einführung einer Mindestbeteiligungsquote von 50 Prozent bei der Durchführung von Urabstimmungen. Für den öffentlichen Dienst und das Transportwesen soll zusätzlich gelten, dass mindestens 40 Prozent aller Wahlberechtigten für Kampfmaßnahmen stimmen müssen. Sonst ist die Urabstimmung ungültig. Es reicht also nicht mehr, "nur" die einfache Mehrheit für einen Streik zu bekommen.

Das heißt praktisch: Wenn jetzt 1.000 Beschäftigte in einer Urabstimmung befragt werden, müssen sich mindestens 500 daran beteiligen. Handelt es sich um den öffentlichen Dienst, also zum Beispiel um Erzieherinnen, Lehrer oder Busfahrer, müssen mindestens 400 Beschäftige für Kampfmaßnahmen stimmen. Wenn sich nur 300 Beschäftigte an der Abstimmung beteiligen, und von diesen eine Mehrheit für den Streik stimmt, ist die Abstimmung laut Gesetzentwurf ungültig.

Schwarze Listen

Eine besondere britische Schikane besteht darin, dass Urabstimmungen nur per Briefwahl durchgeführt werden dürfen. Die Gewerkschaften fordern schon lange betriebliche Urabstimmungen, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Das schließt die Regierung aber aus. Ihr geht es darum, "zu verhindern, dass die Öffentlichkeit durch Streikmaßnahmen beeinträchtigt wird", so Wirtschaftsminister Sajid Javid.

Solche "Beeinträchtigungen der Öffentlichkeit" gab es zuletzt durch die Streiks bei der Londoner U-Bahn im vergangenen Sommer (ver.di publik berichtete). Hier wehren sich die Beschäftigten gegen Personalabbau und längere Arbeitszeiten; es geht um legitime gewerkschaftliche Anliegen. Doch die "50-Prozent-Klausel" ist nicht die einzige Waffe im Arsenal des geplanten Gesetzes, um die Durchsetzung solcher Anliegen zu erschweren.

Streikposten sollen zukünftig gezwungen werden, sich mit Armbändern zu kennzeichnen. Ihre persönlichen Angaben - Name, Arbeitsplatz, Adresse - müssen vor Beginn des Streiks der Polizei gemeldet werden. Die soll damit eine Datenbank gewerkschaftlicher Aktivisten anlegen. Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International sehen hier die Gefahr, dass eine staatliche "schwarzen Liste" entsteht.

Geheimdienst und Unternehmen

"Schwarze Listen" sind ein großes Problem in Großbritannien. So stehen unter anderem die Namen von mehr als 3.000 Bauarbeitern auf einer schwarzen Liste der Baukonzerne. Viele von ihnen sind aktive, allerdings seit Jahren arbeitslose Gewerkschafter. Der Grund: Weil sie auf der Liste stehen, kriegen sie keinen Job.

Heute weiß man, dass es bei der Erstellung dieser Liste eine Kooperation zwischen Geheimdiensten und Baufirmen gab. Durch das geplante Gesetz wird diese Kooperation nun offiziell - und auf alle Berufsgruppen ausgeweitet. Laut Gesetzentwurf soll künftig jede beliebige Person die Identität von Streikposten erfragen dürfen.

Wird auch nur ein Streikposten ohne Armband angetroffen, weigert sich einer von ihnen, seine Angaben zu machen, kann das laut Gesetzentwurf dazu führen, dass der Streik nicht mehr legal ist. Das würde zu Gerichtsprozessen gegen einzelne Gewerkschafter und gegen Gewerkschaften führen, die durchaus mit Haftstrafen enden könnten. Zumindest müssen Gewerkschaften bei Verstößen gegen das Gesetz mit Geldstrafen zwischen 200 und 20.000 Pfund rechnen.

Übrigens gingen im vergangenen Jahr durch Streiks 0,8 Millionen Arbeitstage in Großbritannien verloren. Im selben Zeitraum gingen 20 Millionen Arbeitstage durch berufsbedingte Krankheiten oder Unfälle am Arbeitsplatz verloren. Im Gegensatz zum neuen Gewerkschaftsgesetz hat das für die Regierung aber keine Priorität. Sie hat die Mittel der britischen Arbeitsschutzbehörde in den vergangenen Jahren immer wieder gekürzt.