Herbert Weisbrod-Frey leitet bei ver.di den Bereich Gesundheitspolitik

Da staunte die Vorsitzende des Petitionsausschusses im Bundestag nicht schlecht. 161.193 Menschen hatten innerhalb von vier Wochen die ver.di-Krankenhauspetition für mehr Personal unterzeichnet. 50.000 Unterschriften sind nötig, damit sich der Petitionsausschuss mit dem Anliegen in öffentlicher Sitzung befasst. Noch vor Jahresende steht die größte Petition in dieser Legislatur auf seiner Tagesordnung. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler erhält das Recht, die Forderung nach einer gesetzlichen Personalbemessung mündlich zu begründen. Dieser Erfolg von ver.di kommt nicht von ungefähr. Tausende aktive Gewerkschaftsmitglieder haben daran Anteil. Patientinnen und Patienten, deren Angehörige, Beschäftigte in Krankenhäusern und Krankenversicherte sorgen sich seit langem um die Sicherheit und Qualität der stationären Versorgung.

Bereits vor zwei Jahren hatte ver.di in einer Befragung des Krankenhauspersonals festgestellt, dass 162.000 Beschäftigte fehlen. Die müssten eingestellt werden, damit gute Arbeit gewährleistet werden kann. Den größten Mangel gibt es in der Pflege. Dort wird am meisten gespart. Es gibt zwar noch immer eine gute medizinische Versorgung. Aber von einstmals guter Krankenhauspflege ist kaum noch etwas übrig geblieben. Konkurrenz unter den Häusern fördert die Billigversorgung. Immer öfter kann eine gute und sichere Behandlung selbst durch erhebliche und kontinuierliche Überarbeitung des Personals nicht aufrecht erhalten werden. Trotz starker Zunahme der Patientenzahl bleibt der Personalaufbau weit zurück.

Knapp ein Drittel der Auszubildenden erhalten während ihrer praktischen Einsätze keine Betreuung durch eine Praxisanleiterin oder einen Praxisanleiter. In den Kliniken häufen sich Überstunden und stapeln sich Überlastungsanzeigen. Beschäftige signalisieren, dass sie eine sichere Patientenversorgung nicht mehr gewährleisten oder notwendige Therapien nicht durchführen können. "Ich will für meine Patienten da sein, habe dafür aber keine Zeit. Einige liegen hier mit akuten Schmerzen und niemand kann sich darum kümmern", schreibt eine Krankenschwester an ihren Arbeitgeber. Eine andere stellt resigniert fest: "Die Zustände sind nicht vertretbar. Ich werde meinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht." Vor allem in der Nacht ist eine sichere Versorgung nicht gewährleistet. Im März 2015 hatte ver.di über 2.800 Beschäftigte im Nachtdienst befragt. Über ein Viertel gab an, dass die Hände-Desinfektion vernachlässigt werde, und fast 60 Prozent berichteten über gefährliche Situationen, die durch mehr Personal hätten verhindert werden können.

Seit Jahren ist der Bundesregierung die prekäre Personalsituation bekannt. Nach ersten Lösungsversuchen von Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, SPD, wurden unter Schwarz-Gelb die Probleme ausgesessen und verschärft. ver.di hatte daher im letzten Bundestagswahlkampf und mit Aktionen während der Koalitionsverhandlung den Personalmangel im Krankenhaus zum Thema gemacht. Mit Erfolg! Im Koalitionsvertrag versprachen CDU/CSU und SPD, die Belastung zu reduzieren und zu gewährleisten, dass "die Personalkosten, insbesondere die der Pflege, in ausreichender Höhe und Gewichtung berücksichtigt werden". In der aktuellen Krankenhausreform wurde diese Zusage aber nur halbherzig eingelöst. Ein Pflegestellen-Förderprogramm sollte gerade mal mit 110 Millionen Euro jährlich ausgestattet werden. Das reicht nicht.

Zur Behebung der prekären Personalausstattung werden rund acht Milliarden Euro gebraucht. Rund die Hälfte davon fehlt, weil die Länder ihren Investitionspflichten für Bau und Ausstattung der Krankenhäuser nicht nachkommen. Vier Milliarden Euro Versichertengelder werden dafür zweckentfremdet. In einer Zeit anhaltend hoher Steuereinnahmen muss aktuell eine Aufstockung der Fördermittel erfolgen. Eine bessere Zeit kommt nicht.

Doch trotz zahlreicher Änderungsanträge zum Krankenhausstrukturgesetz gibt es bei der Krankenhausförderung der Länder kaum Bewegung. Mehr Erfolg gibt es an anderer Stelle: Ab 2017 wird ein Pflegezuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro jährlich eingeführt, der sich an den Personalaufwendungen für Pflege bemisst. Auch Tarifabschlüsse werden künftig stärker berücksichtigt. Das ist ein richtiger Schritt. Doch erst über eine gesetzliche Personalbemessung werden gute Arbeit für die Beschäftigten sowie sichere Krankenhausversorgung und Leistungen guter Qualität für alle Menschen in Deutschland ermöglicht. Die Krankenhauspetition für mehr Personal gibt diesen Anliegen gegenüber der Bundesregierung den erforderlichen Nachdruck.

"Ich will für meine Patienten da sein, habe dafür aber keine Zeit"