Ausgabe 01/2016
Den tollen Urlaub machen die anderen
Das Geschäft mit Reisen boomt. Schon heute hat die Tourismuswirtschaft über zehn Prozent Anteil an der Weltwirtschaft mit Riesenumsätzen. Nur: Die meisten Beschäftigten im Tourismus können sich keinen Urlaub leisten
Na, wohin soll die Reise in diesem Jahr gehen? Oder können Sie wieder einmal nicht verreisen, wenn Sie Urlaub haben? Dann gehören Sie vielleicht zu den Beschäftigten im Tourismus, die dafür sorgen, dass alle anderen einen schönen Urlaub haben, sich aber selbst keine Auszeit irgendwo am Meer, in den Bergen oder an einem anderen erholsamen Ort leisten können. Sie arbeiten zwar dort, aber den tollen Urlaub machen die anderen. Rund 100 Millionen Menschen sind es weltweit, die im Tourismus arbeiten. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) geht zudem davon aus, dass eine Stelle im touristischen Kerngeschäft anderthalb weitere Stellen schafft. Direkt, beziehungsweise indirekt, leben somit rund 230 Millionen Menschen von Reisenden. Tendenz steigend.
Rekordwerte, aber Niedriglöhne
So haben sich nach Berechnungen der Welttourismusorganisation (UNWTO) im Jahr 2014 mehr als eine Milliarde Menschen auf eine Urlaubsreise ins Ausland begeben, also ein Sechstel der Gesamtbevölkerung. Im Vergleich zum Jahr 1950 sind das vierzigmal so viele Menschen gewesen. Weit über 1.000 Milliarden US-Dollar Umsatz jährlich bescheren die Reisenden der Tourismuswirtschaft. Nur: Das wenigste von diesem Geld kommt am Ende auch bei den Beschäftigten in der Tourismuswirtschaft an. Auch nicht bei den rund 4,9 Millionen direkt und indirekt Beschäftigten hierzulande.
Deutschland ist ein beliebtes Urlaubsland. Allein 31 Prozent der Deutschen verreisen im eigenen Land, so eine Analyse der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen e.V. (FUR). Laut Statistischem Bundesamt verzeichnete Deutschland in 2014 insgesamt knapp 424 Millionen Übernachtungen und damit einen Rekordwert. Beteiligt sind an solchen Rekorden derzeit rund 2.500 Reiseveranstalter, knapp 10.000 Reisebüros und 4.800 Busunternehmen, etwa 222.000 Unternehmen im Gastgewerbe, darunter rund 45.000 Hotels und Pensionen sowie 177.000 gastronomische Unternehmen. Statistisch wird in der Branche sehr vieles erfasst. Allerdings eine wichtige Rechengröße nicht: Nämlich welche Auswirkungen das Wachstum der Branche für die in ihr Beschäftigten hat. Die sind scheinbar so gering, dass sich mit ihnen kaum punkten lässt.
Tourismuskaufleute reisen günstiger
Blickt man allein auf die Beschäftigten in der Reisebranche, das sind Mitarbeiter/innen in Reisebüros und den großen Touristikkonzernen wie TUI und DER, dann sind in Deutschland in dieser Teilbranche momentan rund 70.000 Menschen sozialversicherungspflichtig und 13.000 weitere ausschließlich geringfügig beschäftigt. Und wiederum nur ein Fünftel von ihnen wird nach Tarif bezahlt. Vor allem in den vielen kleinen Reisebüros landauf, landab wird wenig bezahlt. "Dort gibts oft nicht viel mehr als den Mindestlohn", sagt Gerd Denzel, der bei ver.di für den Bereich Tourismus zuständig ist. Da kommen im Monat bei einer Vollzeitstelle gerade einmal 1.300 Euro brutto zusammen. Tourismuskaufleute, die unter dem von ver.di und dem Deutschen ReiseVerband (DRV) abgeschlossenen Tarifvertrag arbeiten, steigen zurzeit bei knapp 2.000 Euro brutto ein und können je nach Ausbildung und Fortbildung bis zu 3.100 Euro brutto verdienen.
Mit letzterem Einkommen ist ein Jahresurlaub schon finanzierbar, zumal der Tarifvertrag auch Urlaubs- und Weihnachtsgeld vorsieht. Denzel glaubt sogar, dass Beschäftigte der Reisebranche im Vergleich zur Gesamtbevölkerung mehr verreisen. "Zum einen, weil sie reiseaffin sind, zum anderen, weil Touristikkaufleute Vergünstigungen bekommen." Aber die machen in der ganzen Branche eben nur einen geringen Teil aus. Die allermeisten arbeiten im Niedriglohnbereich, bestenfalls noch zum Mindestlohn, in Hotels, Restaurants oder etwa auf Kreuzfahrtschiffen, oft saisonal bedingt im Sommer am Meer und in den Wintermonaten in den Skigebieten. In Österreich konnten 2010 rund 15 Prozent der Beschäftigten im Tourismus nicht einmal von ihrer Arbeit leben, geschweige denn Urlaub machen. Für Deutschland liegen keine Zahlen vor, aber das Verhältnis dürfte ähnlich sein. "Das klassische Zimmermädchen kann sich sicher keinen Urlaub leisten", sagt auch Gerd Denzel.
Die parlamentarische Staatsekretärin im Bundeswirtschaftsministerium, Iris Gleicke (SPD), sagte schon vor knapp zwei Jahren: "Die Branche muss für junge Menschen, die vor der Berufswahl stehen, attraktiver werden." Dem wollte sie sich vordringlich widmen. Allein die Einführung des Mindestlohns reicht da aber noch nicht.
Risiken und Chancen für Frauen
Wie in anderen Branchen, zum Beispiel im Gesundheitswesen oder in den Sozial- und Erziehungsdiensten, sind Frauen auch im Tourismus überproportional beschäftigt. Laut ILO waren 2013 weltweit 55,5 Prozent, in manchen Regionen bis zu 70 Prozent der Beschäftigten weiblich und in der Mehrzahl unter 25 Jahre alt. Und wo viele Frauen arbeiten, wird Arbeit generell niedriger bewertet.Das birgt vor allem in der Tourismuswirtschaft "enorme Risiken für Frauen", stellt "respect", eine Initiative der Naturfreunde Internationale, in einem Dossier über Frauen im Tourismus fest. "Viele Frauen sind Diskriminierung ausgesetzt, kämpfen mit schlechter Bezahlung und unsicheren Jobs und werden immer wieder Opfer sexueller Ausbeutung, Stichwort ,Sextourismus'", heißt es dort.
Dennoch bietet der Tourismus Frauen auch viele Chancen. Schon heute hat der Tourismus über zehn Prozent Anteile an der gesamten Weltwirtschaft. Bis 2023 erwartet der World Travel Tourism Council (WTTC) in den Kerngeschäften des Tourismus weitere 24 Millionen Arbeitsplätze. In Österreich kann man schon heute sehen, wo sie entstehen. Weil viele landwirtschaftliche Betriebe ihr Einkommen allein durch die Landwirtschaft nicht mehr sichern können, bieten bereits 10.000 Höfe auch Übernachtungen an. 2.500 Betriebe sind Mitglied im Verein "Urlaub auf dem Bauernhof". Diese Höfe leiten vor allem Frauen, die damit das Einkommen der ganzen Familie sichern. Auch sie arbeiten zwar immer noch dort, wo andere Urlaub machen, aber sie wirtschaften in die eigene Kasse. Die dann vielleicht auch mal einen Überschuss hat, um selbst Urlaub machen zu können.