Das Jahr 1933: Sich unterwerfen oder widerstehen

Diese Fotos machte die Gestapo von Rudi Arndt, als er im Herbst 1933 zum zweiten Mal von den Nazis verhaftet wurde. Das Ende ihrer Herrschaft hat er nicht mehr erlebt.

Von Constanze Lindemann

In den Jahren und Monaten vor dem 30. Januar 1933 sprechen die meisten Artikel in der gewerkschaftlichen Presse eine klare Sprache. "Die jetzige Regierung gilt als Wegbereiter des Dritten Reiches, Hitler als ihr heimlicher Chef ... Das Dritte Reich Hitlers übertrumpft den alten Obrigkeitsstaat. Es ist ein Zuchthausstaat, der selbst in den schlimmsten Jahrzehnten der Sozialistenverfolgung nie auf deutschem Boden bestanden hat." So heißt es im Juli 1932 in der Zeitung Graphische Presse, dem Verbandsorgan der Lithographen. Im Korrespondent beschreiben die Redakteure die Nazis als "widerliche Büttel des Kapitalismus". 1932 konnten die Gewerkschaften ihre Medienmacht noch in ihrem Sinne einsetzen. Getreu der Erkenntnis "Wissen ist Macht - Macht ist Wissen" investierten sie Ende der 20er Jahre mehr als 13 Millionen Reichsmark in Presse und Bildung, kaum weniger als in Arbeitskämpfe. Aber dem Wissen folgten keine Taten.

Am 20. Juli 1932, beim sogenannten "Preußenschlag", der Absetzung der gewählten und SPD-geführten preußischen Regierung durch eine Notverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg, verzichteten die Gewerkschaften auf jede Gegenwehr. Goebbels notierte am 21. Juli 1932 in seinem Tagebuch: "Alles rollte wie am Schnürchen ab. Die Roten beseitigt. Ihre Organisationen leisteten keinen Widerstand. Der Generalstreik unterbunden. Die Roten haben ihre große Stunde verpaßt. Die kommt nie wieder."

Bereits am 4. Februar 1933 - wenige Tage, nachdem Hitler mit der NSDAP legal an die Macht gebracht worden war - beseitigte Hindenburg grundlegende demokratische Rechte mit der Notverordnung "Zum Schutze des Deutschen Volkes". Die Liste der verbotenen Zeitungen, besonders derer der Gewerkschaften, war lang. Nach dem Reichstagsbrand wurde auch der Korrespondent für zwei Wochen verboten. Am 5. März fanden die letzten Reichstagswahlen statt. Die Gewerkschaften hatten gehofft, die NSDAP-geführte Regierung würde abgewählt. Es geschah das Gegenteil. Und die Gewerkschaften wurden stiller.

Sturm auf die Gewerkschaftshäuser

Umso heftiger wüteten die Nazis. Laut Protokoll des Bezirks I der Berliner Buchdrucker vom 14. März 1933 berichtete der 2. Vorsitzende des Buchdruckerverbands, Richard Barth, von "den erfolgten Aktionen gegen die Gewerkschaften seit dem 30. Januar und insbesondere seit dem 28. Februar d. J. So sind die Nürnberger Büros vernichtet. Parteihaus in Kaiserslautern brennt. Bochumer Druckerei des Bergarbeiter-Verbands vor Husemanns Augen zerstört. ... In Leipzig ist das Volkshaus besetzt. In Königsberg sind das Otto-Braun-Haus und das Gewerkschaftshaus besetzt".

Bei den Betriebsratswahlen im März erreichten die Vertreter der Freien Gewerkschaften nahezu 75 Prozent, die NS-Betriebsorganisationen kamen auf zwölf Prozent. Daraufhin wurden die Wahlen abgesetzt. Die meisten Gewerkschaften hielten weiter still. Erstes Gebot für die Mitglieder, so hieß es in Flugblättern, sei jetzt, "kühles Blut und Besonnenheit" zu bewahren. Obwohl ADGB und Einzelgewerkschaften bei der Vorbereitung des 1. Mai 1933 bereits entmachtet und ausgegrenzt waren, riefen sie dazu auf, an den von den Nazis organisierten Massenaufmärschen zum "Feiertag der Nationalen Arbeit" teilzunehmen.

Auf die Unterwerfung folgten am 2. Mai 1933 der Sturm auf die Gewerkschaftshäuser, Entlassungen und Verhaftungen und die Beschlagnahme der Gelder. Die meisten Zeitungen wurden verboten; einige wenige gleichgeschaltet, also dem "Presse- und Propagandaleiter" des nationalsozialistischen "Aktionskomitees zum Schutz der deutschen Arbeit" unterstellt. Sie sollten die Gewerkschaftsmitglieder an die Nazis binden. Die freien Gewerkschaften hatten aufgehört zu bestehen.

Dennoch gelang es vielen Mitgliedern im Untergrund und vom Ausland aus, die Stimme gegen den Faschismus nicht verstummen zu lassen. Sie trafen sich unter Vorwänden, bildeten Netzwerke, druckten Flugblätter und verteilten sie, leisteten Kurierdienste, unterstützten Verfolgte. Sie widerstanden und leisteten Widerstand. Viele bezahlten das mit ihrem Leben.

Drei Lebensläufe:

Berta Wurche, geborene Gerdel (1897 bis 1980)

Berta kam als Kind mit ihren Eltern nach Berlin. Nach der Schule wurde sie als Falzerin angelernt. Sie arbeitete bei der Otto Elsner AG und war dort von 1921 bis 1923 im Betriebsrat. Seit 1911 war sie im Verband der Buchbinder und Papierverarbeiter gewerkschaftlich organisiert.

Nach dem Buchdruckerstreik 1923 wurde sie bei Elsner entlassen, im Buchbinderverband 1927 aber trotzdem als ehrenamtliche Funktionärin gewählt. 1928 trat sie in die SPD ein, sie arbeitete in der Druckerei des Metallarbeiterverbandes.

Dass sie sich an Geldsammlungen der Nazis im Betrieb nicht beteiligte, kostete sie 1933 ihre Stelle. Sie fand danach wieder Arbeit im Reichsamt für Landesaufnahme. Auch dort verweigerte sie sich den Sammlungen der Nazis, sie wurde zudem als ehemalige Gewerkschaftsfunktionärin denunziert. Die Folge war 1939 erneut der Verlust ihres Arbeitsplatzes. 1938 hatte sie geheiratet. Ihr Mann, der den Dienst bei der Wehrmacht verweigert hatte, wurde noch in den letzten Kriegstagen in Berlin von der SS erschossen.

Schon seit 1933 war Berta Wurche in der illegalen antifaschistischen Arbeit aktiv. Sie setzte das auch während der Kriegsjahre fort, knüpfte Verbindungen zu Willi Stoph und Bruno Mahlow, einem Buchdrucker, der der Reichsleitung der Revolutionären Gewerkschaftsopposition Grafik angehörte. Sie arbeitete mit dem Buchdrucker Paul Israel zusammen, der in der Reichsdruckerei beschäftigt war und Kontakte zum Ausland hielt, beschaffte wichtige Papiere wie Karten der Wehrmacht, organisierte aber auch Quartiere und Lebensmittelkarten für illegal lebende Antifaschisten. Ab Juli 1944 gehörte sie der Jacob-Saefkow-Bästlein-Gruppe an. Sie verbreitete Flugblätter und Informationsmaterial. Ihre Tätigkeit wurde nie aufgedeckt, so konnte sie die Nazizeit überstehen. Nach dem Krieg arbeitete Berta Wurche als Sachbearbeiterin der Industriegewerkschaft Graphisches Gewerbe im Gewerkschaftshaus in der Wallstraße.

Gertrud Petzold, geborene Galle (1874 bis 1965)

Die Berlinerin Gertrud Petzold wurde durch ihre "Eltern schon als Kind zum Sozialismus erzogen", wie sie 1945 in einem Lebenslauf schrieb. 1888 begann sie, als Bogenanlegerin im Buchdruck zu arbeiten. Zu dieser Zeit konnten sich Frauen und Hilfsarbeiter im graphischen Gewerbe noch nicht gewerkschaftlich organisieren. Doch schon auf einer Versammlung am 5. März 1890 gründeten die Druckerei-Hilfsarbeiterinnen den Verein der Arbeiterinnen an Buch- und Steindruck-Schnellpressen. Noch während der Gründungssitzung traten 170 Kolleginnen dem Verein bei. Gertrud Petzold gehörte zu den ersten Anlegerinnen, die sich organisierten. "Als junges Mädchen", wie sie selbst schrieb, wurde sie Mitglied und beteiligte sich "viel an Gewerkschaftsversammlungen". 1918 trat sie in die ein Jahr zuvor gegründete Unabhängige Sozialdemokratische Partei (USPD) ein und wechselte 1920 in die KPD. In diesen Jahren arbeitete sie in der Buchdruckerei Georg Beyer. Sie blieb gewerkschaftlich organisiert und war Mitglied im Betriebsrat.

Gertrud Petzold war verheiratet und hatte sich scheiden lassen. Sie wohnte im Berliner Arbeiterbezirk Friedrichshain und war von 1920 bis 1936 in der KPD-Parteigruppe Friedrichshain II und in der Roten Hilfe aktiv. Nach 1933 beteiligten sich die Mitglieder an illegaler Arbeit. Gertrud Petzold berichtete nach dem Krieg, dass sie Flugblätter und illegale Zeitungen in den Häusern verteilten. Sie sammelte Geld und Kleider für Kinder von Inhaftierten und zahlte dafür auch selbst Geld ein. Doch am 30. März 1936 flog die illegale Arbeit auf, Gisela Petzold wurde verhaftet. Gemeinsam mit sieben anderen Aktiven wurde sie wegen der "Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens" angeklagt und am 3. März 1937 zu einem Jahr und drei Monaten Gefängnis verurteilt. Anfang Juli 1937 hatte sie die Strafe verbüßt. Nach ihrer Entlassung unterstützte sie inhaftierte Genossen mit Lebensmitteln und beteiligte sich, wie sie sagte, an der "Kleinarbeit". Nach 1945 wurde ihre Arbeit in der DDR als "antifaschistische Widerstandsarbeit" anerkannt. Hochbetagt zog sie mit offizieller Genehmigung im Oktober 1961 zu ihrer Tochter nach Westberlin. Daraufhin wurde ihr die "Medaille für Kämpfer gegen den Faschismus 1933-1945" von der DDR aberkannt.

Rudi Arndt (1909 bis 1940)

Rudolf Arndt war der Sohn einer jüdischen Lehrerfamilie in Berlin. 1927 begann er eine Schriftsetzerlehre, die er bei der "Berliner Anschlag- und Reklamewesen-Gesellschaft" abschloss. Von 1924 bis 1926 war Arndt Mitglied der zionistischen Jugendbewegung. 1927 trat er in den Buchdruckerverband ein und schloss sich dort der kommunistischen Fraktion der Lehrlingsabteilung an. Seit 1928 war er auch im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) aktiv.

Im April 1931 wurde Rudi Arndt zusammen mit 67 weiteren Angeklagten vom Reichsgericht wegen "antimilitaristischer Propaganda" angeklagt und zu zweieinhalb Jahren Festungshaft verurteilt. Nach seiner Entlassung fand er keine Arbeit, er ging ins Ruhrgebiet, kehrte aber 1933 wieder nach Berlin zurück.

Als Leiter des illegalen technischen Apparats des KJVD wurde er schon im Herbst des Jahres 1933 erneut festgenommen, und am 15. Oktober 1934 verurteilte der Volksgerichtshof ihn und vier andere Oppositionelle wegen der "Vorbereitung zum Hochverrat".

Am Ende seiner dreijährigen Haft im Zuchthaus Brandenburg wurde Rudi Arndt erst in die Konzentrationslager Sachsenhausen und Dachau und dann ins KZ Buchenwald verschleppt. In den Konzentrationslagern setzte er sich besonders für jüdische und jugendliche Mitgefangene ein.

Als Kapo, also von der SS eingesetzte Aufsicht, eines speziell für Juden geschaffenen Reviers hat er in Buchenwald, wie Überlebende berichteten, hunderten Menschen das Leben gerettet. Mit Hilfe anderer Häftlinge besorgte er Medikamente und hielt die SS-Ärzte fern. In dem ihm später unterstellten Block 22 ermutigte er Mithäftlinge, Gedichte und Lieder zu schreiben. Es gelang ihm, ein Streichquartett ins Leben zu rufen, das vor den Gefangenen spielte. Er organisierte regelmäßig geheime Sitzungen unter den Kommunisten und versorgte polnische Juden, die die SS im sogenannten "kleinen Lager" verhungern lassen wollte, mit zusätzlichen Essensrationen.

Die Aktionen von Rudi Arndt wurden denunziert, die SS peitschte ihn aus und schickte ihn zur Arbeit in den Steinbruch. Um nichts zu verraten, lief er am 3. Mai 1940 bewusst in eine Postenkette der KZ-Bewacher und wurde erschossen.

Die Berufsschule für Polygraphie in Ostberlin bekam 1957 den Namen Rudi Arndt.

ver.di feiert ein doppeltes Jubiläum

2016 jährt sich die Gründung der ältesten Vorgängergewerkschaft, der Buchdruckergewerkschaft, zum 150. Mal, ver.di wird im Juni 15 Jahre alt.

Am 20. Mai 1866 wurde der Verband der Deutschen Buchdrucker in Leipzig gegründet.

Zum Jubiläum am 20. Mai wird 2016 in der ver.di-Bundesverwaltung in Berlin eine Ausstellung über den gewerkschaftlichen Kampf für Demokratie und Menschenrechte eröffnet. Mit einer Jubiläumsveranstaltung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften am Gendarmenmarkt in Berlin feiert der ver.di-Gewerkschaftsrat am 28. Juni 2016 mit zahlreichen Gästen eine trotz vieler Hürden und Rückschläge erfolgreiche Geschichte.