Kollektive Verwaltung

Von Wolfgang Schimmel

"Verwertungsgesellschaften" - kurz VG - heißen in Deutschland Einrichtungen, die treuhänderisch Rechte von Urheber/innen und ausübenden Künstler/innen wahrnehmen. Sie ziehen Vergütungen für bestimmte Werknutzungen ein - z.B. für das Verleihen von Büchern oder das Kopieren für private Zwecke - und verteilen sie an die kreativ Tätigen. Die amtliche englische Bezeichnung lautet "collective management of copyright" - wie in der EU-Richtlinie 2014/26/EU. So wird deutlicher, worum es geht: den Zusammenschluss von Künstler/innen und Publizist/innen zur Durchsetzung ihrer Rechte mittels gemeinschaftlicher oder eben "kollektiver" Verwaltung. Eine gute Idee, die Gewerkschaftsmitgliedern nicht fremd sein sollte. Dass man sich mit einer starken kollektiven Interessenvertretung nicht überall Freunde macht, ist bei jedem Streik in den Gazetten nachzulesen.

60 Jahre zuverlässig

Allerdings ist die Lage bei einigen Verwertungsgesellschaften etwas komplizierter. Bei der VG Wort gehören nicht nur Autor/innen zum "Kollektiv", sondern auch die Verwerter/innen ihrer Werke, zum Beispiel Verlage. Ähnlich verhält es sich bei der Gema, der VG Bild-Kunst und der VG Musikedition. Die VG Wort wurde 1958 als gemeinsame Einrichtung von Urhebern und Verlagen gegründet und verteilt die Einnahmen nach einem festen Schlüssel an beide Seiten. Man kann über die Sinnhaftigkeit solcher Gemeinschaftseinrichtungen streiten, oft arbeiten sie aber erfolgreich und lange Zeit zuverlässig, so auch die VG Wort.

Konsequenz einer solchen gemeinsamen Einrichtung ist aber die gemeinschaftliche Verwaltung und die Verteilung der Erlöse an beide Seiten. Bei der VG Wort erhalten die Urheber/innen den größeren Teil, im Regelfall 70 Prozent; lediglich bei wissenschaftlichen Werken stand den Verlagen bisher die Hälfte zu, wie es der Verteilungsschlüssel der 1978 mit der VG Wort fusionierten VG Wissenschaft vorsah. Dagegen hat der Autor Martin Vogel, der als ehemaliger Aufsichtsbeamter die VG Wort bestens kennt, 2011 Klage erhoben und jetzt in letzter Instanz vor dem Bundesgerichtshof (BGH) Recht bekommen.

Am 21. April hat der BGH sein Urteil verkündet. Wolfgang Büscher, der Vorsitzende Richter des Senats, sagte bei dieser Gelegenheit: "Damit ist eine jahrzehntelange Praxis der VG Wort hinfällig geworden." Ob das auch wirtschaftlich sinnvoll ist, ließ er offen. Der Verteilungsmodus zwischen Autor/innen und Verlagen in der VG Wort ist damit jedenfalls erledigt. Nach der Urteilsverkündung gab es heftige Reaktionen auf der Grundlage einer Pressemitteilung des Gerichts mit der Überschrift "Keine pauschale Beteiligung von Verlagen an den Einnahmen der VG Wort". Der Verein freier Journalisten, der sich "Freischreiber" nennt und sich weder um Tarifverträge noch Vergütungsregeln kümmert, hat dem Kläger einen Preis verliehen: "für seinen uneigennützigen und kostenintensiven Einsatz für uns Urheber". Wenn die VG Wort "ihre Einnahmen nicht mehr an die Verleger ausschütten" darf, wird das die Einkommenssituation freier Journalisten aufbessern - meinen und hoffen die "Freischreiber".

Anders der Börsenverein des Deutschen Buchhandels, der ein "Verbot von VG-Wort-Ausschüttungen an Verlage" sieht und meint, ein solch "schwerer Schlag für die Verlagskultur in Deutschland" könne zu "Insolvenzen im Verlagsbereich" führen. Schon früher, anlässlich einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof zum belgischen Recht, hieß es dort, Verlage könnten "gezwungen sein, ihre Kalkulationen in jeder Beziehung anzupassen, auch was die Autorenvergütung betrifft". Die Ankündigung, sich auf anderem Weg - also auch von Autor/innen - zu holen, was über die VG Wort nicht mehr an die Verlage fließt, liegt also auf dem Tisch.

Verteilungskämpfe

Liest man die Urteilsgründe, relativieren sich Hoffnungen und Sorgen allerdings: Das Gericht sagt klar und deutlich, dass die Verlage auch weiterhin Ausschüttungen erhalten können, allerdings nicht die 50 Prozent wie bisher bei wissenschaftlichen Werken. Die Begründung ist letztlich eine formal urheberrechtliche und etwas komplizierte. Vereinfacht: So, wie die Verträge zwischen Verlagen und Urhebern in der Vergangenheit ausgestaltet waren, und auf der Grundlage des geltenden, vom BGH mit Blick auf das Recht der EU ausgelegten Urheberrechts können die Verlage nicht so viel an Rechten haben, dass ihnen die VG Wort 50 Prozent der Erlöse auszahlen dürfte. Soweit die Verlage aber Rechte erworben haben, dürfen sie beteiligt werden.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Entscheidung, die der Vorsitzende Richter beim BGH nicht kommentieren wollte, sind allerdings gravierend. Es geht immerhin um einen dreistelligen Millionenbetrag, den die Verlage an die VG Wort zurückzahlen müssen. Auf ver.di als Gewerkschaft, die die Interessen von Urheber/innenn und Beschäftigten in den Verlagen vertritt, kommt einiges an Arbeit zu. Der BGH hat das Feld für Verteilungskämpfe wieder eröffnet - nach fast 60 Jahren Ruhe. Aktenzeichen I ZR 198/13