Brigitte Rilke, 64, Volkshochschuldozentin für Deutsch als Fremdsprache

Meine Arbeitstage sehen immer wieder anders aus: An zwei Tagen der Woche gebe ich Integrationskurse an der Volkshochschule in Berlin-Mitte. Die Lernenden kommen aus verschiedenen Ländern, die meisten sind zu Hause gut ausgebildet worden, es sind auch Akademiker darunter. In den Kursen lernen sie Deutsch, es gibt natürlich wie an jeder Schule Lehrbücher und ein Curriculum, für viele sind Prüfungen am Ende der Kurse Pflicht. Es wird intensiv gearbeitet, wie man das von einer Lehrerin und erwachsenen Schülern erwarten kann. An der VHS zu lehren ist schließlich kein Hobby, wenn auch manche Leute das immer noch denken.

Am dritten Tag der Woche gebe ich einen Kurs Deutsch als Fremdsprache, der auf noch höherem Niveau liegt, in dem anspruchsvolle Texte gelesen und schwierige Themen diskutiert werden. Es bleiben zwei Tage übrig, die sehen ganz anders aus: Da habe ich einen Elternkurs an der VHS Berlin-Schöneberg. Daran nehmen zurzeit nur Frauen teil. Viele kommen aus dem Libanon und leben schon lange in Berlin. Als sie den Kurs vor fünf Jahren begonnen haben, sprachen sie kein Deutsch und wussten wenig über ihre neue Umwelt. Fast alle waren Analphabetinnen. Sie saßen zu Hause. Durch den Elternkurs kommen sie raus, treffen neue Leute, lernen lesen. Das genießen sie.

Wenn sie früh um neun - manche etwas später - im Jugendzentrum ankommen, wo der Kurs stattfindet, reden wir erst mal über alles Mögliche: neues aus der Familie, aktuelle Nachrichten aus dem Libanon. Dann arbeiten wir mit dem Lehrbuch und besprechen die Themen, die für Elternkurse vorgegeben sind: das deutsche Schulsystem, Gesundheitsvorsorge, der Sinn von Impfungen, gewaltfreie Erziehung. Seit kurzem treffen wir uns an einem Tag pro Woche im Computerraum; die Frauen sind neugierig darauf.

Ich bin seit mehr als fünfzehn Jahren Dozentin an der VHS, vorher habe ich zeitweilig in New York und Italien gelebt, einige Zeit in China, ein Jahr in Tunesien. Überall habe ich Deutsch unterrichtet, meist am Goethe-Institut. Studiert habe ich Französisch und Deutsch, Ziel: Lehramt. Zurzeit unterrichte ich an den beiden Volkshochschulen 23 Stunden in der Woche, etwa dieselbe Zeit brauche ich für Vorbereitungen. Ich könnte vom Alter her bald in Rente gehen, aber das kann ich mir nicht leisten. VHS- Dozenten werden auf Honorarbasis bezahlt und müssen sich selbst versichern. ver.di-Berechnungen ergeben bei Vollzeit ein Einkommen von ca. 1.300 Euro nach Abzug von Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung. Die Rente liegt dann nach 35 Arbeitsjahren zwischen 400 und 700 Euro im Monat. Deshalb fordern wir gemeinsam mit ver.di und der GEW einen Tarifvertrag und eine Bezahlung, die der von Berufsschullehrern entspricht. Im Juni habe ich bei einer ver.di-Aktion sogar dem Bundespräsidenten unsere neueste Protestpostkarte überreicht. Und im Übrigen: Ich hätte im Moment noch gar keine Lust, in Rente zu gehen.

Protokoll: Claudia von Zglinicki

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