Schluss mit AFP! Einer von Tausenden auf einer Demonstration gegen den Rentenfonds in Santiago de Chile

Schlechte Aussichten: Viele Chilenen müssen mit Sorge in die Zukunft blicken. Denn nach dem Ende ihres Arbeitslebens erwarten sie Niedrigrenten, die längst nicht zum Leben reichen. Ein Leben, das zudem immer teurer wird, mit einem Arbeitsmarkt, der immer mehr Menschen von regulärer Beschäftigung ausschließt. Schuld ist das System, dem zehn Millionen Beschäftigte ausgeliefert sind. Sie gehören einem der privaten, krisengeschüttelten AFP-Rentenfonds an. Bereits jetzt erhalten viele Ruheständler nicht einmal den Durchschnittsbetrag von umgerechnet 265 Euro monatlich, da sie nicht in der Lage waren, in ihrem Arbeitsleben beständig oder in voller Höhe Beiträge einzuzahlen. Es sind nur die Beschäftigten, die das Kapital zu dieser Versicherung beisteuern. Pablo Normalverdiener bekommt als Rente nur etwa 38 Prozent von dem, was er mal als Nettolohn hatte. Ein Wert, der bei den westlichen Industriestaaten am unteren Ende der Skala liegt.

Privat gleich Katastrophe

Viele Chilenen wollen sich das nicht länger bieten lassen und setzen die Politik jetzt mit einer Protestwelle mächtig unter Druck. Auf großen Demonstrationen im ganzen Land sagen sie "No Más AFP" (Kein AFP mehr) und fordern eine grundlegende Reform der Rentenpolitik. Gewerkschaften, Bürgerinitiativen, Sozialverbände und linke Parteien bringen die Menschen auf die Beine. Sie wollen eine Wende, hin zum solidarischen Sozialsystem, einem System also, zu dem auch die Unternehmer und die öffentliche Hand beitragen. Mit halbherzigen, seit Jahren steckengebliebenen Reformen wollen sie sich nicht länger abfinden. Bei einem landesweiten Aktionstag Ende August demonstrierten allein in der Hauptstadt Santiago de Chile etwa 300.000 Menschen. Das Ausmaß der Auflehnung übersteigt noch das der Kämpfe gegen das private Bildungssystem in den vergangenen Jahren. "Privat" bedeutet für viele Familien eine Katastrophe, weil die Ausbildungskosten sie in Verschuldung und Ruin treiben.

Ein Resultat der Pinochet-Diktatur

Die Chilenen müssen weiter die Suppe auslöffeln, die ihnen die Diktatur von Augusto Pinochet (1973 - 1990) servierte. Damals wurde die Gesellschaft radikal nach neoliberalen Rezepten umgestaltet. Zur Hand gingen dem General dabei die "Chicago Boys", chilenische Ökonomen, die von den führenden US-Ideologen des freien Marktes beeinflusst waren. Die Aufsichtsbehörde der Pensionskassen AFP, die jetzt zur Zielscheibe des Protests wird, ist eines der Resultate. Pinochets Arbeitsminister José Piñera, der sich heute noch auf der politischen Rechten und in wirtschaftsliberalen Think Tanks tummelt, ersetzte 1980 die umlagefinanzierte Rentenversicherung durch das AFP-System, das allein auf individueller Kapitalbildung basiert. Mit allen Risiken für die Beitragszahler. Nach Pinochets Dekret DL 3500 hatten neue Beschäftigte nur noch die Wahl der Risikoklasse, der sie ihre Altersvorsorge anvertrauen wollten. Den Seinen allerdings ersparte der Diktator ein solches Vabanquespiel: Die Angehörigen von Polizei und Militär brauchten nicht privat vorzusorgen. Finanzielle Privilegien und Möglichkeiten zu einem frühen Renteneintritt konnten sie auch in die neue Zeit mit herüberretten. Doch 2008 verzockte sich das Weltkapital. Die Folgen schlagen auch auf Chile durch. Aus ist es mit dem Boom, den das viele Geld in den Töpfen der diversen AFP-Fonds mit gespeist hatte, deren Rentabilität ist im Keller.

Das chilenische Rentenmodell kann die Folgen des sozialen und demographischen Wandels nicht abfedern. Der US-Ökonom und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz hält es für eine Fehlkonstruktion. Auf einem Seminar der Kommission, die es evaluiert und Reformvorschläge erarbeiten soll, schätzte Stiglitz ein: "Chile ist eines der Länder mit der größten Ungleichheit in der OECD, und dieses Modell schafft noch mehr Ungleichheit." Von 23 Ländern, die ihr Rentensystem privatisierten, hätten sieben das bereits wieder rückgängig gemacht. Um Altersarmut zu vermeiden und ein "Mindestniveau an Sicherheit" zu gewährleisten, bedürfe es eines "zweiten solidarischen Pfeilers".

Wechsel gefordert

Die Anti-AFP-Bewegung fordert einen klaren Wechsel. Hin zu einem System, das generationsübergreifend solidarisch funktioniert und zu dem auch Staat und Unternehmen per Umlage beitragen. Die minimale Grundsicherung, die die Regierung der sozialistischen Präsidentin Michelle Bachelet 2008 einführte, reicht der Bewegung nicht. Nach den großen Kundgebungen kündigte Bachelet nun an, die Reformen zügiger voranzutreiben, und traf sich mit Initiatoren der Proteste. Ziel sei, so die Präsidentin, ein "gerechtes Rentensystem", dessen Leistungen der "Würde und Arbeitsleistung der Menschen" Respekt zollen. Die Regierung werde sich ihrer Verantwortung dafür nicht entziehen.

Doch solche Ankündigungen gab es nicht zum ersten Mal, und die Zeit drängt. Die schlechte Wirtschaftslage und die Ineffizienz der Politik nähren den Unmut der Bevölkerung. Eine Reform der AFP müsste noch in diesem Jahr durchs Parlament gebracht werden. Denn im kommenden Jahr stehen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen an. Wie das Bachelet-Lager sie besteht, wird nicht zuletzt davon abhängen, ob es die Forderungen der sozialen Bewegungen nun aufzugreifen und umzusetzen vermag.