In der Tat sah es erst einmal so aus, als müssten die Verkäuferinnen und Verkäufer in der Innenstadt am Sonntag vor dem Tag der Deutschen Einheit in ihren Läden stehen und arbeiten. Es ist das einzige Wochenende im Jahr, an dem auch die Beschäftigten im Handel im Zusammenhang mit einem Feiertag einmal zwei Tage am Stück frei haben könnten. Nach der Verfügung der Landeshauptstadt auf Antrag der innerstädtischen Händler-Cityinitiative (CIS) sollte der 2. Oktober unter dem Motto "Goldener Oktober" zum Arbeitstag werden. Die Enttäuschung der Beschäftigten über diese Verfügung der Stadtverwaltung war riesig.

Nach rechtlicher Prüfung stellte ver.di fest, dass die veröffentlichte Fassung der Allgemeinverfügung zur Genehmigung von Sonntagsarbeit keine Rechtsmittelbelehrung enthielt. Deshalb war ein Widerspruch möglich. Um einer gerichtlichen Auseinandersetzung mit ver.di zu entgehen, hat die CIS als Veranstalter die Sonntagsöffnung von sich aus abgesagt.

Der Sonntag im Handel muss frei bleiben

Die Belastungen für die Beschäftigten im Verkauf sind immens gestiegen. Die endlose Geschichte der Ausweitung der Öffnungszeiten insbesondere in den Zentren, die Halbierung der Personalzahlen, die Erhöhung der Frequenz der Warenlieferungen, die Reduzierung der Löhne und Gehälter durch zunehmende Tarifflucht sind Gift für die Gesundheit und das Auskommen. Partner, Freunde und die Familien der Beschäftigten leiden darunter. Gemeinsame Freizeit mit Angehörigen und Freunden wird zur Ausnahme.

Obwohl das Ladenschlussgesetz einen Samstag im Monat als arbeitsfrei vorsieht, setzen sich Betriebe zunehmend darüber hinweg: Die Samstagsarbeit ist vielerorts die Regel, der Sonntag ist die letzte Pausenbastion im Leben der Beschäftigten im Handel. Deshalb muss der Sonntag im Handel frei bleiben. Vorwürfe, ver.di wolle sich mit dieser Aktion nur profilieren oder den stationären Handel in Konkurrenz zum Onlinehandel gezielt schädigen, sind einfach nicht zutreffend und gehen an der Sache vorbei.

Kommentatoren waren der Ansicht, die Gewerkschaft müsse bei der Sonntagsöffnung ein Auge zudrücken, es mit dem Recht nicht so genau nehmen, Verständnis für die Arbeitgeber zeigen. Zu Recht hat Guido Lorenz von der katholischen Betriebsseelsorge an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass der Schutz des Sonntags natürlich ganz wesentlich auch ein Gesundheitsschutz für die Beschäftigten ist. Daneben ist der freie Sonntag aber auch ein wertvolles Kulturerbe, das es für alle zu verteidigen gilt.

Es ist ein Irrglaube, dass immer längere Öffnungszeiten im Handel den stationären Einzelhandel retten könnten. Beim Verkauf rund um die Uhr, womöglich von Montag bis Sonntag, sind nämlich ebenfalls die multinationalen Konzerne mit ihren Filialen den kleinen inhabergeführten Einzelhändlern überlegen. Auch bei ungezügelten Öffnungszeiten gilt: Groß frisst Klein, Stark frisst Schwach.

Die Doppelstrategie der Filialisten, die im Übrigen inzwischen fast die gesamte Stuttgarter Innenstadt im Griff haben, auf den Verkauf sowohl in den Filialen als auch in ihren Onlineshops zu setzen, trifft die Beschäftigten in voller Härte. Sie sind bei wachsendem Leistungsdruck zunehmend prekären, deregulierten Beschäftigungsverhältnissen mit unregelmäßigen Einsatzzeiten zwischen frühem Morgen und später Nacht ausgesetzt. Im Gegensatz zu Beschäftigtenanderer Berufe, die häufig noch zwei Tage in der Woche zur Regeneration haben, bleibt den Beschäftigten im Handel dazu nur noch der Sonntag - und deshalb muss er weiter geschützt bleiben.


Anastasia Karawasiliadou, Betriebsratsvorsitzende bei Zara: "Der Arbeitgeber verlangt auch von den Verkäuferinnen mit Kindern ständig mehr Flexibilität bei der Arbeitszeit. Als wolle man am liebsten alle Mütter loswerden. Vor allem die Alleinerziehenden setzt dies stark unter Druck, weil die Öffnungszeiten der Kitas nicht zu den Arbeitszeiten passen."


Iris Geiger, Betriebsrätin bei Galeria Kaufhof: "Wenn ich unter der Woche frei habe, arbeiten meine Freunde regelmäßig. Am Sonntag ist man oft fertig mit den Kräften und kann sich kaum noch zu Aktivitäten aufraffen. Mit den Jahren leiden die Sozialkontakte durch diese Bedingungen im Handel ganz erheblich."


Olga Hurlin, Betriebsrätin bei Breuninger: "Viele werden nur für ein paar Stunden am Tag eingeplant, Privates wird dabei meist nicht berücksichtigt. Es gibt bei uns Beschäftigte, die dafür bis zu 60 Kilometer An- und Abfahrt in Kauf nehmen müssen. Beim derzeitigen Verkehrsstress in Stuttgart benötigt man mehr Zeit für die Wege als für den eigentlichen Einsatz am Arbeitsplatz."


Nuray Yalcin, Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Esprit: "Wenn der Sonntag im Oktober nicht abgesagt worden wäre - bei dem ständigen Personalmangel hätten wir gar nicht gewusst, wie wir mit dem verbliebenen Personalstand diese Zeiten auch noch hätten abdecken sollen."