Ausgabe 08/2016
Für "Aufkündigung der Solidarität" entschuldigt
Im Foyer des Frankfurter Gewerkschaftshauses sind immer wieder Ausstellungen zu gewerkschafts- und gesellschaftspolitischen Themen zu sehen. Anfang November ging es um ein brisantes Stück Zeitgeschichte. Es wurde eine Ausstellung eröffnet mit dem Titel: "Vergessene Geschichte. Berufsverbote. Politische Verfolgung in der Bundesrepublik." Zusammengestellt worden war sie von einer Gruppe von Betroffenen aus Hannover. Der hessische Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) kaufte eine Kopie und will sie im kommenden Jahr anlässlich des 45. Jahrestages des "Radikalenerlasses" auf Wanderschaft durch hessische Gewerkschaftshäuser schicken. Unterstützt wird sie dabei auch von der Industriegewerkschaft Metall und von ver.di.
Eine nachträgliche Entschuldigung
Der Wilhelm-Leuschner-Saal im Frankfurter Gewerkschaftshaus war voll besetzt, als Jochen Vogel, der hessische GEW-Vorsitzende, die Vernissage einleitete. Er machte auf die massenhaften Bespitzelungen durch die Geheimdienste in den Jahren nach 1972 aufmerksam, die die Berufsverbote begleiteten und die politische Atmosphäre in der Bundesrepublik vergifteten. In der Regel erhielten die betroffenen Lehrer, Postler oder Eisenbahner Rechtsschutz durch ihre Gewerkschaften. Gegenüber einigen politischen Gruppen gab es aber Unvereinbarkeitsbeschlüsse. Ihre Mitglieder wurden aus der Gewerkschaft ausgeschlossen. Für diese Aufkündigung der Solidarität entschuldigte sich Jochen Vogel bei den Betroffenen nachdrücklich und öffentlich. Für alle, die mit Berufsverbot verfolgt wurden, soll nun eine Rehabilitierung und gegebenenfalls auch eine Entschädigung erwirkt werden. Diese Position haben auch die Gewerkschaftstage von GEW, IG Metall und ver.di bekräftigt.
Wie dringend eine solche Aufarbeitung ist, zeigen zwei neue Fälle. In Baden-Württemberg wurde dem Realschullehrer Michael Csaszkoczy wegen seines antifaschistischen Engagements zunächst die Anstellung verweigert, aber er konnte sich per Gerichtsbeschluss durchsetzen. Seine Akten beim Verfassungsschutz durfte er nicht einsehen. Der nordhessischen Lehrerin Silvia Gingold wurde mitgeteilt, dass sie weiter überwacht werde. Sie will im Januar vor dem Landgericht Wiesbaden klagen. reb