Ausgabe 08/2016
Gefährlicher Fahrplan
Mit dem Fahrplanwechsel am 11. Dezember hat die Bahntochter Südwestbus offiziell die Buslinien in Pforzheim übernommen. Damit ist der kommunale Stadtverkehr in Pforzheim Geschichte, das kommunale Unternehmen Stadtverkehr Pforzheim (SVP) wurde nach über 100-jährigem Bestehen abgewickelt. Die Beschäftigten wurden entlassen, über 60 von ihnen wurden bei Südwestbus eingestellt - allerdings zu geringerer Bezahlung als bei der SVP.
Pforzheim ist die erste Kommune in Deutschland, die zeigt, wohin der Vorrang eigenwirtschaftlicher Anträge im deutschen Personenbeförderungsgesetz führen kann (ver.di publik berichtete in Ausgabe 02_2016). Europäisches Recht regelt, dass eine Kommune zwar die Wahl hat, den Nahverkehr entweder auszuschreiben oder direkt an ein eigenes Unternehmen zu vergeben. Dabei kann sie Vorgaben zur Qualität und zu sozialen Bedingungen für die Beschäftigten machen, dazu gehört auch die Übernahme der Beschäftigten. Die meisten Bundesländer haben zudem repräsentative Tarifverträge für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Tariftreuegesetzen bestimmt. Doch mit dem im deutschen Personenbeförderungsgesetz festgelegten "Vorrang eigenwirtschaftlicher Anträge" wird das Vergabeverfahren abgebrochen und alle Vorgaben zum Arbeitnehmerschutz werden unwirksam, falls ein solcher Antrag eingeht, in dem steht, dass die Interessenten den Auftrag ohne Zuschüsse erfüllen können.
Für den Auftrag Standards abgesenkt
Dass das nur auf Kosten der bisherigen Beschäftigten machbar ist, zeigt auch das Beispiel Hildesheim. Dort ist die Deutsche Bahn mit einem eigenwirtschaftlichen Antrag gescheitert. Denn nachdem der Antrag bekannt geworden war, hat auch das städtische Unternehmen Stadtverkehr Hildesheim (SVHi) einen eigenen eigenwirtschaftlichen Antrag vorgelegt. Es bekam den Zuschlag, nachdem zuvor in einem Haustarifvertrag die Arbeitsbedingungen abgesenkt worden sind.
Auch zahlreiche andere private Unternehmen haben bereits eigenwirtschaftliche Anträge gestellt, unter anderem in Kiel, Leverkusen, Hamm, Gotha, Esslingen, Oldenburg und Saarlouis. Einige Anträge wurden abgelehnt, Bieter klagen jedoch dagegen. ver.di geht davon aus, dass aktuell die Arbeitsplätze von 1.600 Beschäftigten bedroht sind.
Daher haben sich im November Betriebs- und Personalratsvorsitzende aus 193 privaten und öffentlichen ÖPNV-Unternehmen in einem offenen Brief an ihre Bundestagsabgeordneten im Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur des deutschen Bundestages gewandt. Sie fordern eine Änderung des Personenbeförderungsgesetzes. "Tarifgebundene private und kommunale Unternehmen haben keine Chance, mit eigenwirtschaftlichen Anträgen zu konkurrieren. Dieser ungleiche Wettbewerb findet ausschließlich über Sozialdumping statt", heißt es in dem Schreiben. Die Arbeitnehmer/innen befürchten eine Welle der Tarifflucht und eine massive Unterhöhlung des bisherigen Tarifgefüges: "Dieses Ungleichgewicht widerspricht den Grundsätzen einer sozialen Marktwirtschaft."
Sie weisen darauf hin, dass in den kommenden drei Jahren die überwiegende Mehrzahl aller Neuvergaben im öffentlichen Nahverkehr ansteht, daher müsse sofort gehandelt werden. Dabei geht es um die Arbeitsplätze von insgesamt rund 130.000 Beschäftigten.
Den Vorrang streichen
Die Betriebs- und Personalräte und ver.di fordern die Streichung des Vorrangs eigenwirtschaftlicher Anträge, zumindest jedoch eine Klarstellung im Personenbeförderungsgesetz, dass auch eigenwirtschaftliche Antragsteller die kommunalen Vorgaben zu sozialen Standards und Beschäftigten übernahmen sowie der Tariftreuegesetze einhalten müssen. Außerdem müsse in Ausschreibungsverfahren die Übernahme der Beschäftigten bei einem Betreiberwechsel auch im ÖPNV verbindlich vorgeschrieben werden.