Detlef Athing

Einen "grundlegenden Politikwechsel" angesichts der jüngsten alarmierenden Armutszahlen und der wachsenden Politikverdrossenheit forderte ver.di-Landesleiter Detlef Ahting auf der Fachtagung der Landesarmutskonferenz Niedersachsen (s.o.), die im ver.di-Veranstaltungszentrum in Hannover stattfand. "ver.di publik" nahm die Konferenz zum Anlass und sprach mit Ahting über das Thema "Armut, Macht und Flucht".

ver.di publik - Wie alarmierend sind die Zahlen für Niedersachsen?

Ahting - Im letzten Jahr verfügten 19 Prozent aller Niedersachsen über ein Einkommen unterhalb der Armutsgrenze. Damit ist jeder sechste Niedersachse - wir sprechen hier über insgesamt 1,2 Millionen Menschen - von Armut betroffen. Wir wissen, dass die Armutsschwelle bei Alleinstehenden bei 930 Euro im Monat beginnt. Das Besondere an diesen Zahlen aber ist: Sie stehen für die höchste Armutsquote seit 2005 - dem Beginn der vergleichenden Berechnung bundesweit. Das ist überaus alarmierend.

ver.di publik - Das Tagungsthema hieß diesmal "Armut - Macht - Flucht".

Ahting - Das Thema trifft den Kern. Denn globale Armut und lokale Migration verändern unseren Alltag, sind direkt vor unserer Haustür angekommen. Als ver.di liegt uns daher besonders die Verteilungsgerechtigkeit am politischen Herzen. Denn unser Alltag ist von einer wachsenden Spaltung zwischen Arm und Reich geprägt. Das muss nicht sein. Bei jeder Gelegenheit, die sich bietet, müssen wir soziale Gerechtigkeit einfordern. Und wir müssen es lauter tun als bisher.

ver.di publik - Die Politikverdrossenheit nimmt zu, obwohl das Thema Flüchtlinge nicht mehr die Rolle wie noch vor einem Jahr spielt.

Ahting - Leider reagieren immer mehr Menschen - vor allem viele selbst von Armut Betroffene - nicht immer mit Verständnis auf die Migranten. Im Gegenteil: Frust über die zumeist unverschuldete eigene prekäre Situation sowie soziale Abstiegsängste führen zu Politikverdrossenheit und zu Protestverhalten. Das hat sich vor allem in den vergangenen Wahlen niedergeschlagen. Umso mehr müssen wir die Politik aufrütteln, um einen grundlegenden Politikwechsel zu erreichen.

ver.di publik - Wer von Armut redet, darf auch über Reichtum nicht schweigen.

Ahting - Richtig. Nicht nur die Armut steigt in unserem Land, auch die Zahl der Millionäre wächst kontinuierlich. Im letzten Jahr hatten wir in Deutschland 1,2 Millionen Millionäre. Jeder dieser Menschen verfügt laut Statistik über mehr als eine Million Euro Vermögen. Und noch eine Zahl ist interessant: Laut einer Befragung verfügen die Superreichen, die 1,2 Prozent der Bevölkerung ausmachen, über ein durchschnittliches Bruttoeinkommen von 21.000 Euro im Monat. Um da kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Es sei ihnen gegönnt. Doch warum wird überall in Bund, Land und Kommunen das Klagelied von den leeren Kassen gesungen, wenn doch Geld genug da ist.

ver.di publik - Es wurde doch gerade die Erbschaftssteuer reformiert?

Ahting - Die beschlossene Reform der Erbschaftssteuer reicht überhaupt nicht aus, wieder werden Unternehmer geschont. Wir sagen klipp und klar: Es muss eine gerechte Steuerpolitik geben, die große Vermögen angemessen beteiligt. Und wir müssen vor allem weiter Niedriglöhne, unsichere Jobs, Leiharbeit und den Missbrauch von Werkverträgen bekämpfen.