Ausgabe 01/2017
Es geht um mehr Personal
Keine Zeit für ausreichende Pflege
ver.di publik - Nach einer ver.di-Erhebung fehlen in deutschen Krankenhäusern 162.000 Vollzeitstellen, davon allein 70.000 in der Pflege. Wie wirkt sich das im Alltag auf die Beschäftigten aus?
Sylvia Bühler - Die Kolleginnen und Kollegen leiden darunter, dass sie ihrem eigenen Anspruch an ihre Arbeit nicht gerecht werden können, weil es zu wenig Personal gibt. Nicht wenige haben ein permanent schlechtes Gewissen gegenüber ihren Patientinnen und Patienten, dabei liegt die Verantwortung doch eindeutig beim Arbeitgeber und der Politik. Überstundenberge werden vor sich hergeschoben. Pausen, die gesetzlich vorgeschrieben sind, können oft nicht gemacht werden. Und besonders bei den Krankenschwestern und -pflegern klingelt in der Freizeit oft das Telefon: ob man nicht kurzfristig einspringen könne. Die meisten können sich nicht vorstellen, diesen Dauerstress bis zur Rente durchzustehen.
ver.di publik - Und auf Patient/innen?
Bühler - Die Personalnot kann für Patient/innen schnell gefährlich werden. Man muss sich doch nur mal im eigenen Bekanntenkreis umhören. Oft hört man auch, dass niemand richtig Zeit hat, weder zum Zuhören noch zum Erklären.
ver.di publik - Was muss geändert werden?
Bühler - Wir brauchen gesetzliche Vorgaben für ausreichend Personal im Krankenhaus. Das muss dann auch entsprechend finanziert werden. Anders als vor allem CDU/CSU das immer noch postulieren, werden Markt und Wettbewerb es nicht richten. Das beweist die Entwicklung der letzen Jahre.
Sylvia Bühler ist im ver.di-Bundesvorstand zuständig für Gesundheit, soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen
ver.di publik - Wen sieht ver.di hier in der Pflicht, etwas zu ändern?
Bühler - Gefordert sind der Bundesgesundheitsminister und die Länder, die endlich wieder ihrer Verpflichtung nachkommen müssen, die Investitionskos- ten für die Krankenhäuser zu zahlen. Und Arbeitgeber müssen natürlich auch im Gesundheitswesen die Arbeits- und Gesundheitsschutzgesetze einhalten. Dass hier täglich dagegen verstoßen wird, ist kein Kavaliersdelikt. Es müssen endlich qualifizierte Gefährdungsanalysen erstellt werden, die auch die psychische Beanspruchung berücksichtigen. Und dann müssen wirkungsvolle Maßnahmen zum Gesundheitsschutz auch tatsächlich umgesetzt werden.
ver.di publik - Wie reagiert die Politik auf diese Forderungen?
Bühler - Niemand kann mehr ernsthaft das Problem bestreiten. Dazu haben unsere bundesweiten betrieblichen Aktionen in den letzten Jahren maßgeblich beigetragen. Doch über Symbolpolitik hinaus ist bisher nichts passiert. Ende 2015 haben wir eine Petition für mehr Personal im Krankenhaus beim Bundestag eingereicht, der sich 200.000 Menschen angeschlossen haben. Eine Antwort steht noch aus.
ver.di publik - Bei Flugbegleitern gibt es Regelungen, wie viele mit an Bord sein müssen. Wie kann es sein, dass das bei Pflegepersonal nicht der Fall ist?
Bühler - Am Ende geht es natürlich auch um Kosten, da muss man sich nichts vormachen. Ich freue mich über jede Klinik, in der die Kolleginnen und Kollegen erklären: Wir sind nicht länger bereit, auf Kosten unserer eigenen Gesundheit zu versuchen, das fehlende Personal auszugleichen. Das erhöht den Handlungsdruck auf den Gesetzgeber und die Arbeitgeber.
ver.di publik - ver.di kämpft nicht nur für eine gesetzliche Regelung, mittlerweile wird das Thema Entlastung auch auf tariflicher Ebene angepackt. Im Saarland hat ver.di unlängst alle 21 Kliniken zu Verhandlungen über einen Tarifvertrag Entlastung aufgefordert. Was ist der Stand?
Bühler - Im Saarland sind unsere ver.di-Kolleginnen und -Kollegen seit gut drei Jahren mit den Beschäftigten im Gespräch, um auszuloten wie die Personalnot betrieblich angepackt werden kann. Es hat Ultimaten gegeben, Beschäftigte wollten ihre freiwillige Mehrleistung über die vorgeschriebene Arbeit hinaus nicht mehr erbringen. Vor gut einem Jahr haben im Saarland dann gezielt die Vorbereitungen begonnen, um tarifliche Lösungen zur Entlastung zu suchen und die Überlastung der Beschäftigten im Arbeitsalltag zumindest zu entschärfen. Natürlich geht es im Kern um mehr Personal.
Da ist es sehr bemerkenswert, dass die Landesgesundheitsministerin Monika Bachmann, CDU, schon vor dem ersten Warnstreik angekündigt hat, ab 2018 den saarländischen Krankenhäusern konkrete Personalschlüssel für Pflegekräfte vorzuschreiben und Verstöße auch zu bestrafen. Wir sind auch mit allen Arbeitgebern im Saarland im Gespräch - wir erwarten Taten, denn gute Worte und Versprechungen haben die Klinik-Beschäftigten in den vergangenen Jahren genug gehört.
ver.di publik - Wie wird ver.di mit Blick auf die Bundestagswahl weiter vorgehen?
Bühler - Durch Aktionen in den Betrieben machen wir die Überlastung der Beschäftigten sichtbar und erhöhen damit den Druck auf Arbeitgeber und Politik. Wir stärken bundesweit die betriebliche Handlungsfähigkeit, um Entlastung in den Betrieben durchzusetzen. Und wir werden in den Klinken informieren, ob und wie die Parteien das Thema Personalausstattung im Krankenhaus in ihren Wahlprogrammen aufgenommen haben.
Wir lassen nicht locker. Schließlich hat die Regierung die Verantwortung für eine sichere Patientenversorgung. Jede und jeder kann morgen schon darauf angewiesen sein, im Krankenhaus gut und sicher versorgt zu werden. Deshalb ist es gut, wenn viele mit dazu beitragen, dass der Gesetzgeber endlich seine Hausaufgaben macht.
Interview: Heike Langenberg
"Niemand kann mehr ernsthaft das Problem bestreiten. Dazu haben unsere bundesweiten betrieblichen Aktionen in den letzten Jahren maßgeblich beigetragen."