Gleich zwei gewerkschaftspolitisch bedeutsame deutsche Gesetze stehen seit Ende Januar auf höchstrichterlichem Prüfstand. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe verhandelte zwei Tage lang über fünf Beschwerden gegen das sogenannte Tarifeinheitsgesetz aus dem Jahre 2015. Gleichzeitig veranstaltete der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg eine öffentliche Anhörung zu der Frage, ob das deutsche Mitbestimmungsgesetz von 1976 mit EU-Recht vereinbar ist.

In beiden Verfahren gehört ver.di zu den direkt Betroffenen. In Karlsruhe ist sie - neben dem Deutschen Beamtenbund, der Pilotenvereinigung Cockpit, der Flugbegleiter-Organisation Ufo und dem Ärzteverband "Marburger Bund" - eine der Beschwerdeführenden. In Luxemburg geht es mit dem Tourismuskonzern TUI um ein Unternehmen aus dem Organisationsbereich von ver.di.

Eingriff in die Grundrechte

Mit ihren Beschwerden machen die Kläger/innen in Karlsruhe geltend, dass das Tarifeinheitsgesetz in mehrfacher Hinsicht in Grundrechte eingreife, insbesondere in die Koalitionsfreiheit und damit in das Streikrecht: Wenn sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge konkurrierender Gewerkschaften in einem Betrieb überschneiden, findet nur der Vertrag derjenigen Gewerkschaft Anwendung, die in diesem Betrieb die meisten Mitglieder hat. Der andere Vertrag wird sozusagen verdrängt.

Verhinderung von Arbeitskämpfen

In der mündlichen Verhandlung vor dem Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts wehrte sich Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, persönlich gegen den Vorwurf, eigentlicher Zweck des Gesetzes - auch als Reaktion auf große Streiks - sei die Verhinderung von Arbeitskämpfen. Verfassungsrichterin Susanne Baer hielt es dennoch nicht für ausgeschlossen, dass die Bundesregierung mit dem Gesetz auch eine "domestizierende Wirkung" habe erzielen wollen, wie die Süddeutsche Zeitung (SZ) die Spitzenjuristin zitiert.

Auch der Vorsitzende Richter Ferdinand Kirchhof zeigte sich laut SZ sensibel für die Anliegen der Kläger/innen: "Das Gesetz lässt die Minderheitsgewerkschaft allein. Das ist natürlich eine fatale Situation." Kirchhof fragte die Beschwerdeführenden nach Vorschlägen, "wie das Gesetz das Problem anders als bisher bewältigen könnte", sodass sich schließlich sogar Ministerin Nahles offen zeigen musste für "Verbesserungsvorschläge" des Gerichts, wie die Stuttgarter Zeitung beobachtete.

Nach der Verhandlung in Karlsruhe betonte ver.di-Vize Andrea Kocsis jedenfalls: "Gewerkschafter können nicht die Hand reichen für einen solchen Eingriff" in Tarifautonomie und Streikrecht. Tarifeinheit müsse politisch zwischen den Gewerkschaften hergestellt werden, nicht jedoch per Gesetz.

Bis zum EuGH in Luxemburg hat es unterdessen ein junger Berliner Bankangestellter geschafft, der sich in als Besitzer einiger TUI-Aktien zum europaweiten Vorkämpfer vermeintlich diskriminierter TUI-Beschäftigter aufschwingt. Aufgrund des deutschen Mitbestimmungsgesetzes von 1976 dürfen sich an der Wahl der Arbeitnehmervertreter/innen im Aufsichtsrat nur die 10.000 Beschäftigten in Deutschland beteiligen, nicht jedoch die 40.000 TUI-Leute im europäischen Ausland.

Nur Kapitalseite im Aufsichtsrat

Der klagende Bankangestellte, der mit dieser Geschäftsidee bereits gegen die Hornbach Baumarkt AG und den Handelskonzern BayWa AG angetreten ist, fordert zur Lösung des Problems allerdings nicht die Ausweitung der Wahlberechtigung auf alle TUI-Beschäftigten in ganz Europa, sondern schlägt vor, dass im Aufsichtsrat nur noch Vertreter/innen der Kapitalseite sitzen sollen. Das Berliner Kammergericht, das in der Bundeshauptstadt die Funktion eines Oberlandesgerichts hat, hält einen Verstoß gegen EU-Recht immerhin für "möglich", wollte die Sache aber nicht selbst entscheiden, sondern hat sie zur Klärung der Rechtslage an den EuGH verwiesen. Von einer Luxemburger Entscheidung könnten die Interessen der Beschäftigten von mehr als 2000 deutschen Unternehmen betroffen sein.

Nach Angaben der Badischen Zeitung in Freiburg unterstützt die EU-Kommission die Argumentation des klägerischen Bankangestellten. Die deutsche Bundesregierung hingegen wolle mit Hilfe Österreichs die geltende Rechtslage verteidigen. Sollte der EuGH am Ende das deutsche Gesetz beanstanden, wäre das, so die Badische, aber "wohl nicht das (an die Wand gemalte) Ende der Mitbestimmung. Der Bundestag müsste das Gesetz dann eben ändern und den Beschäftigten im EU-Ausland ebenfalls ein Wahlrecht einräumen. Wenn die dortigen Mitarbeiter mitzählen, könnte das sogar dazu führen, dass viel mehr deutsche Unternehmen mitbestimmungspflichtig werden".

Nach der Verhandlung am 24. Januar beim EuGH gab sich ver.di zuversichtlich, dass die deutsche Mitbestimmung dem EU-Recht standhalten werde: "Der Versuch, die Mitbestimmung über den Luxemburger Umweg auszuhebeln, wird den Gegnern nicht gelingen, denn die deutschen Regelungen sind unionsrechtskonform", erklärte Vorstandsmitglied Gabriele Gröschl-Bahr. - Mit Entscheidungen ist sowohl in Karlsruhe als auch in Luxemburg erst in etlichen Monaten zu rechnen. Henrik Müller