Ausgabe 01/2017
Mut braucht Unterstützung
Sie sind mutig, sie handeln uneigennützig, und sie riskieren ihre Existenz: Whistleblower, Menschen, die Missstände oder geheim gehaltene Informationen publik machen, ohne einen persönlichen Vorteil aus dieser Veröffentlichung zu ziehen. Das Whistleblower-Netzwerk hat vor kurzem einen EU-weiten Aufruf gestartet, der das Ziel hat, diese mutigen Menschen zu schützen.
Offenlegen von Missständen ist rechtens
Die Berliner Altenpflegerin Brigitte Heinisch ist eine Whistleblowerin: Sie arbeitete ab 2002 in einer Senioreneinrichtung des landeseigenen Krankenhauskonzerns Vivantes. Weil ständig Personal fehlt, gab es erhebliche Mängel in der Pflege, wie die Altenpflegerin ihren Vorgesetzten vielfach mitteilte. Auch mit Überlastungsanzeigen versuchte sie, Vivantes zum Umsteuern zu bewegen. Die Unternehmensleitung zeigte sich davon unbeeindruckt. Brigitte Heinisch erstattete schließlich Strafanzeige - und erhielt die Kündigung.
Mehrere Jahre dauerte die gerichtliche Auseinandersetzung ohne klare Entscheidung, bis ihr im Juli 2011 der Europäische Gerichtshof für Menschrechte bestätigte, dass das "Offenlegen von Missständen" durch die Meinungsfreiheit gedeckt sei. Außerdem stellten die Straßburger Richter klar: Das "öffentliche Interesse an Informationen über Mängel" sei höher zu bewerten als das Interesse eines Unternehmens am Schutz seines Rufes und seiner Geschäftsinterna.
Am Ende war dem ver.di-Mitglied Brigitte Heinisch aber doch kein voller Erfolg vergönnt: Im Wiederaufnahmeverfahren vor dem Berliner Arbeitsgericht 2012 insistierte der Vorsitzende Richter, die Altenpflegerin solle einen Vergleich akzeptieren, weil sonst eine weitere langwierige juristische Auseinandersetzung drohe. Unter diesem Eindruck stimmte die Whistleblowerin dem Vergleich zu.
Hätte es vor mehr als zehn Jahren einen EU-weiten rechtsverbindlichen Schutz von Whistleblowern gegeben, wäre Brigitte Heinisch und vielen anderen Whistleblowern erspart geblieben, ihre mutigen Taten unter Einsatz ihrer materiellen Existenz und bei erheblichen psychischen Belastungen juristisch und gesellschaftlich zu verteidigen. Der Aufruf des Whistleblower-Netzwerks wendet sich gleichermaßen an die EU-Kommission, die EU-weite Rechtsvorschriften zum Whistleblower-Schutz ausarbeiten soll, wie auch an den Europäischen Rat und das Europäische Parlament, "Initiativen zu unterstützen, die einen EU-weiten Schutz von Whistleblowern gewährleisten".
Whistleblowerpreis für tapfere Leute
Eine wichtige Initiative ist in diesem Zusammenhang der seit 1999 alle zwei Jahre vergebene Whistleblowerpreis, der von der Vereinigung Deutscher Wissenschaftler und der deutschen Sektion der International Association of Lawyers Against Nuclear Arms gestiftet und mittlerweile von dem 2006 gegründeten Whistleblower-Netzwerk unterstützt wird.
Die Liste der bisherigen Preisträger/innen liest sich wie das Who's Who mutiger Menschen: Neben Brigitte Heinisch, die 2007 geehrt wurde, erhielten 2009 die hessischen Steuerfahnder Rudolf Schmenger und Frank Wehrheim den Preis. Beide hatten massive Steuerhinterziehungen von Commerzbank und Deutscher Bank aufgedeckt und wurden dafür von ihrer vorgesetzten Verwaltung und der hessischen Landesregierung kaltgestellt.
2011 ging die Auszeichnung an Chelsea Manning, die über Wikileaks Menschenrechtsverletzungen beim US-Militär publik machte, deshalb 2013 zu 35 Jahren Haft verurteilt, von US-Präsident Barack Obama aber am Ende seiner Amtszeit kürzlich begnadigt wurde. Und auch Edward Snowden, der die umfassende Bespitzelung durch US-amerikanische und britische Geheimdienste an die Öffentlichkeit brachte, zählt seit 2013 zu den Preisträger/innen.
Gudrun Giese
Aufruf zum EU-weiten Schutz von Whistleblowern auf https://whistleblowerprotection.eu/de
Unterstützer: DGB, industriAll, UNI europa globalunion, Transparency International, Oxfam u.a.