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Wer im Heim lebt, rechnet in der Regel nicht damit, noch einmal umziehen zu müssen

Für Plätze in Pflegeheimen gibt es vielerorts eine sehr hohe Nachfrage und lange Wartelisten. Gleichzeitig warnt der Bundesverband privater Pflegeeinrichtungen vor einer drohenden Pleitewelle. Bei einer Umfrage des Verbandes haben 70 Prozent der Mitgliedsunternehmen im Frühjahr angegeben, dass sie sich Sorgen um ihre wirtschaftliche Existenz in naher Zukunft machen. Ein Widerspruch?

Ein Grund für die Zunahme der Insolvenzen ist der Mangel an Personal. Er führt dazu, dass längst nicht mehr alle freien Betten belegt werden können. Eine Belegung von mindestens 80 Prozent der vorhandenen Betten nennt der Verband aber als Voraussetzung für den wirtschaftlichen Betrieb. Die jährlichen Budget-Verhandlungen mit den Pflegekassen basieren bislang auf einer Belegung von 95 Prozent.

Insolvenzen von Pflegeheimen sind nicht ungewöhnlich, sagt Matthias Gruß, bei ver.di im Bereich Gesundheitswesen und Gesundheitspolitik zuständig für die Altenpflege. Auffällig sei aber, dass die Insolvenzen zurzeit gehäuft auftreten. Insbesondere private Trägerketten kämen ins Trudeln. Gruß geht davon aus, dass sich der manifeste Personalmangel in nächster Zeit nicht ändern wird, die Arbeitsbedingungen in der Altenpflege machten den Beruf unattraktiv. Hohe Belastungen, schlecht planbare Arbeitszeiten, die Verantwortung für zu viele Pflegebedürftige, all das trage dazu bei, dass Beschäftigte aus dem Beruf ausstiegen, Arbeitszeit reduzierten oder sich gar nicht erst für den Beruf entscheiden würden. Und der Krankenstand sei hoch.

Deswegen boome auch die Leiharbeit in der Altenpflege, so Gruß. Das bedeute weiter steigende Kosten, denn die Kräfte auf Zeit kosteten rund 30 Prozent mehr als die Festangestellten. Und für die Pflegekräfte sei es durchaus lukrativ, zu besseren Bedingungen in die Leiharbeit zu wechseln.

Hinzu kämen wachsende finanzielle Belastungen etwa durch steigende Kosten für Energie und Lebensmittel. Diese könnten zwar auf die Bewohner*innen umgelegt werden, aber eben nicht sofort.

Tariflohnpflicht ist kein Argument

In der Corona-Zeit hätten die Pflegeheime vom Schutzschirm profitiert, sagt Gruß. Doch diese Zahlungen bleiben jetzt aus. Die sogenannte Tariflohnpflicht, die seit September vergangenen Jahres gilt, lässt er nicht als Grund gelten. Zwar habe die Anpassung der Gehälter bei einigen Trägern zu gestiegenen Personalkosten von bis zu 20 Prozent geführt, aber diese hätten sich darauf einstellen und mit den Pflegekassen entsprechend verhandeln können. Die Finanzierung von Tariflöhnen stehe ihnen zu. Doch wenn sich die Verhandlungen verzögerten und nur ein geringes finanzielles Polster vorhanden sei, werde es schwierig. "Es gibt viele windige Betreiber auf dem Markt", sagt Gruß. Es könne nicht angehen, dass private Träger jahrelang Gewinne aus den Pflegeheimen zögen und jetzt die öffentliche Hand oder die gemeinnützigen Träger bei einer Insolvenz einspringen müssten. Wenn der Markt gewünscht sei, müsse es auch gesetzliche Vorgaben geben, was bei einer Insolvenz zu geschehen habe. Das wurde bislang nicht eindeutig vom Gesetzgeber geregelt.

Altenpfleger Peter Müller* hat im Heim eines privaten Anbieters gearbeitet, das im Juni geschlossen wurde. "Für die Bewohner*innen war das ein großer Schock", sagt er. Wer in ein Heim einziehe, rechne in der Regel nicht mehr damit, noch mal umziehen zu müssen.

Angehörige hätten über die Lokalpresse auf die Situation aufmerksam gemacht. Die emotionalen Berichte hätten für wachsenden öffentlichen Druck gesorgt. Vor allem die Leitungskräfte hätten sich darum gekümmert, dass die ihnen Anvertrauten auch in Zukunft gut betreut werden. Die Beschäftigten selbst hätten keine Mühe gehabt, neue Arbeitsplätze zu finden, sagt Müller. Durch die Insolvenz hätten sie jedoch sämtliche Ansprüche aus Mehrarbeit und Betriebszugehörigkeit verloren. Letztendlich konnten mit Unterstützung eines regionalen Anbieters für die fast 100 Bewohner*innen neue Plätze gefunden werden.

Geld aus der Pflege ziehen

An diesem Beispiel wird auch deutlich, wie manch privater Betreiber versucht, Geld aus der Pflege zu ziehen. Peter Müller erzählt, dass vor einigen Jahren mehrere Heime der Region von dem privaten Betreiber, einer bundesweit tätigen Kette, aus der Insolvenz eines kommunalen Betreibers übernommen wurden. Von den drei vorher zusammengehörenden Heimen wurden die beiden wirtschaftlicheren zwei Jahre später in eigene Tochtergesellschaften überführt. Das Heim, in dem Peter Müller gearbeitet hat, verblieb in der alten. Bereits kurz nach der Übernahme war die von einer weiteren Tochter des privaten Betreibers mitübernommene Immobilie für einen zweistelligen Millionenbetrag an einen Immobilienfonds verkauft und zurückvermietet worden. Nur: Das Geld floss nicht in die dringend nötige Sanierung der Immobilie, in der Dach, Wasserleitungen und die Aufzüge marode, der Brandschutz veraltet gewesen seien, erzählt Müller.

Daher hat sich bei der Insolvenz für dieses Haus auch kein neuer Betreiber gefunden, für die anderen beiden Heime schon. Denn eine Insolvenz bedeutet längst nicht immer die Schließung. Oft übernehmen andere Betreiber oder die Kommunen.

Matthias Gruß von ver.di bezeichnet die Altenpflege als ein Beispiel dafür, wie die Privatisierung die Gesundheitsversorgung gefährde. Daseinsvorsorge dürfe nicht profitorientiert betrieben werden. Und bei dem in den kommenden Jahren weiter wachsenden Bedarf an Pflegeplätzen müsse dafür gesorgt werden, dass sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Bedingungen für die Pflegebedürftigen stimmten – und nicht nur der Gewinn einiger Spekulant*innen.

*Name geändert