Ausgabe 02/2017
Opfermythos, Mahnmale und Proteste
Die ver.di Jugend beim "Mahngang Täterspuren"
Auf dem Dresdner Neumarkt, den sonst vor allem die Frauenkirche prägt, dominiert bis zum 2. April 2017 ein Monument aus drei senkrecht aufgestellten Bussen, die für die Opfer und die Zerstörung der syrischen Stadt Aleppo stehen und ein Mahnmal für den Frieden und den Schutz der Zivilbevölkerung sein sollen. "Menschliches Leid und zerstörte Städte: Die aktuellen Bilder aus Syrien erinnern uns an die Folgen vergangener Kriege weltweit, und gerade ältere Menschen denken dabei an das selbst erfahrene Leid und an die unermesslichen Mühen des Wiederaufbaus in den Städten Europas nach dem Zweiten Weltkrieg. Manaf Halbouni hat den Ort für das Monument bewusst gewählt. Die Frauenkirche und der Neumarkt gelten heute als Symbole für den überwundenen Krieg und den Wiederaufbau. Das meint nicht nur die Neuerrichtung von Gebäuden, sondern den langen Weg zu einer Gesellschaft, in der Menschen in Frieden und Freiheit leben können." So beschreibt das Kunsthaus Dresden als Veranstalter diese Kunstaktion.
Wie beabsichtigt, erregen die drei senkrecht in den Himmel ragenden Busse die Gemüter in der Stadt. Von Solidarität, Mitmenschlichkeit und dem Gedenken an die Opfer von Krieg und Zerstörung reicht es bis zur Ablehnung als Schrott und Schandmal. Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert, FDP, musste bei der Einweihung Beschimpfungen und Bedrohungen aushalten, die gleichsam auch seiner im Vorfeld geäußerten Haltung galten, dass Dresden keine "unschuldige Stadt" sei. Erstmals hatte damit ein Stadtoberhaupt ein klares Bekenntnis dazu abgelegt, dass es unter der Dresdner Bevölkerung zur Nazizeit auch Täter gegeben hat, die mitschuldig waren an Judenverfolgung, Euthanasie und Bücherverbrennung.
Dresden war keine "unschuldige Stadt"
Aber nicht nur die montäglichen Pegida-Veranstaltungen und die Pöbeleien auf den Straßen, sondern auch das Gedenken an die vielen tausend Opfer der Bombenangriffe auf Dresden am 13. Februar 1945 und das Benennen von Verantwortung spalten die Stadt. Deshalb ist es umso bemerkenswerter, dass in diesem Jahr das erste Mal ein Dresdner Oberbürgermeister an einer Demonstration gegen Nazis teilgenommen hat. In all den Jahren der Proteste und Blockaden gegen die Naziaufmärsche in der Stadt waren es vor allem linke Bündnisse wie "Dresden nazifrei", Vereine und Verbände, Kirchen, Gewerkschaften, die sich gegen rechte und rassistisch motivierte Aufmärsche stellten. Auseinandersetzungen mit der Polizei und der Justiz folgten regelmäßig, und viele der jungen Leute fühlten sich in die kriminelle Ecke gestellt. Dass heute Dresden nicht mehr Ort von großen Nazi-Veranstaltungen ist, hat die Stadt überwiegend dem massiven Widerstand der linken Bündnisse zu verdanken. Mehr unter: www.dresden-nazifrei.com
"Händchen halten" am 13. Februar reicht nicht
Die ver.di Jugend des Bezirkes Dresden-Ostsachsen hat sich in diesem Jahr vor allem an dem "Mahngang Täterspuren" zu den Schauplätzen der NS-Herrschaft in der Stadt beteiligt. Die Texte zu den Orten des Mahnganges haben Studierende der Evangelischen Hochschule Dresden erarbeitet. ver.di publik sprach mit Matthias Schwarz von der ver.di Jugend:
Dresden gedachte erstmals überwiegend mit Schweigen der Opfer des 13. Februar 1945. Trotzdem zeigt sich die Stadt rund um die Gedenkveranstaltungen uneinig?
Matthias Schwarz - Der 13. und 14. Februar als Datum der Zerstörung der historischen Innenstadt Dresdens steht auch nach 72 Jahren im Fokus der Stadtgesellschaft. Zwischen Gedenken, Geschichtsrevisionismus, politischer Instrumentalisierung durch Nazis, kritischer Begleitung und Pflege eines Opfermythos streitet sich die Stadtgesellschaft - und darüber hinaus - um zwei Kunstaktionen in der Innenstadt. Einerseits ist dort die Kunstinstallation "Monument" und andererseits "Lampedusa 361".
Die Reaktionen vieler in Dresden sind bereits jeweils für sich erschreckend und beschämend. In Ihrer Gesamtheit beweisen sie aber in aller Deutlichkeit, wie notwendig es ist, sich jederzeit für unsere demokratischen Werte einzusetzen und Verantwortung aus unserer Vergangenheit zu übernehmen, dass Krieg, Rassismus und Faschismus nie wieder seien.
Eine Menschenkette einmal im Jahr ist zu wenig?
Matthias Schwarz - Für mich ist klar, dass wir uns gegen Nazis stellen müssen, Geschichtsrevisionismus nicht unbeantwortet lassen dürfen und an die Ursachen und Folgen des Zweiten Weltkrieges erinnern müssen. Dazu gehört es auch auszusprechen, dass Dresden seinerzeit keine unschuldige Stadt war. Die Dresdner Zivilgesellschaft muss endlich auch selbst beweisen, dass sie ebenfalls Verantwortung übernehmen kann und das nicht nur am 13. Februar durch Händchen halten in einer Menschenkette.