Ausgabe 03/2017
Gegen die Maschen der Modeindustrie
Wo es viel Laufpublikum gibt, stehen sie herum: Automaten mit einer großen Glasfront, dahinter Süßkram oder Getränke. Man wirft eine Münze hinein, wählt aus, unten wird das Gewünschte ausgeworfen. Zum Fashion Revolution Day am 24. April 2015 stand auf dem Berliner Alexanderplatz ein großer türkisfarbener Automat, befüllt mit T-Shirts, das Stück für zwei Euro. Doch wer die einwarf, staunte nicht schlecht, als Bilder von Kinderarbeit und von Frauen auf engstem Raum und im Akkord nähend für 13 Cent die Stunde auf der Glasscheibe auftauchten. Danach hatte jede/r die Wahl: sein Geld für bessere Arbeitsbedingungen zu spenden oder tatsächlich das T-Shirt zu kaufen. Eine versteckte Kamera filmte das Geschehen. Das daraus entstandene Video wurde auf YouTube sieben Millionen Mal angeklickt und 126.000 Mal auf Facebook geteilt. 150 Passant/innen hatten angehalten und wollten billig ein T-Shirt erwerben, am Ende spendeten 90 Prozent ihre zwei Euro.
Die Botschaft ist klar
Als 2016 zum ersten Mal die SPITZE NADEL, der Aktionspreis gegen die dunklen Seiten der Modeindustrie, verliehen wurde, erhielt "The 2 Euro T-Shirt - A social Experiment" vom Verein Future Fashion Forward einen der drei vergebenen Preise. Weil die Aktion um die Welt ging und ihre Botschaft klar ist: Die Menschen achten beim Einkauf nicht nur auf den Preis, sondern auch auf Produktionsbedingungen, wenn sie denn von ihnen wissen.
Die SPITZE NADEL wird auch in diesem Jahr wieder vergeben. "Unsere Gesellschaft braucht spitze und innovative Aktionen, damit die dunkle und oft ausgeblendete Seite der Modebranche im Kontrast zur Glitzerwelt bewusst wird. Seit den Katastrophen von Rana Plaza, Tazreen und Ali Enterprises ist nachhaltige Mode notwendiger denn je", sagt Berndt Hinzmann vom INKOTA-netzwerk, neben Kerstin Haarmann von der cum ratione gGmbH einer der Initiatoren des Preises.
In der illegal umgebauten Textilfabrik Ali Enterprises waren am 11. September 2012 in Karatschi (Pakistan) 254 Menschen bei lebendigem Leib verbrannt, 55 Menschen wurden schwer verletzt, Hunderte verloren ihre Einkommensquelle. Der Einsturz des Rana Plaza Gebäudes in Bangladesch forderte am 24. April 2013 über 1.000 Menschenleben, fast 2.500 Menschen wurden teils schwer verletzt.
"Die Öffentlichkeit muss viel mehr Druck auf die konventionellen Textilhersteller und -händler in Deutschland ausüben, damit die keine Textilien mehr anbieten, bei denen immer noch das Leid und das Blut der Näherinnen am Etikett klebt", sagt Kerstin Haarmann. Bis zum 30. April 2017 können sich noch Gruppen, Initiativen und Vereine mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen um die SPITZE NADEL bewerben. Der Preis würdigt das Engagement von Menschen, die die Missstände auf eindringliche Weise anprangern und so ihr Umfeld zum Nachdenken und Nachahmen anregen.
"Die SPITZE NADEL richtet unseren Blick auf die alten Maschen", sagt Anne Swoboda, Schauspielerin, Regisseurin und Mitglied der Preisjury. Die neuen Maschen der Fashion-Industrie dürfen chic, müssen aber fair sein. Petra Welzel
Weitere Infos und Ausschreibung unter www.inkota.de/themen-kampagnen/soziale-verpflichtung-fuer-unternehmen/aktionspreis-spitze-nadel