Edda Busse ist freigestellte MAV-Vorsitzende

"Wenn sie frisch geschrieben sind, sehen unsere Dienstpläne gar nicht mal so verkehrt aus", beschreibt Edda Busse die Ausgangslage. Sie ist Krankenschwester und freigestellte Vorsitzende der Mitarbeitervertretung (MAV, siehe Kasten) im Johanniter-Krankenhaus Genthin-Stendal. Aber lange ist auch in ihrer Klinik keiner der Pläne von Bestand, und das weist auf eines der Hauptprobleme hin: Es darf nichts Unvorhergesehenes passieren, denn es gibt keinerlei Reserven beim Pflegepersonal. Wird jemand krank, muss eine Vertretung aus ihrer Freizeit geholt werden. So wird nicht nur die Erholung unterbrochen, es ist auch schwer, verlässliche Pläne für Familie und Freizeit zu machen. "Unsere Leute möchten im Dienst gern eine Kollegin oder einen Kollegen mehr an ihrer Seite haben. Das könnte unser Slogan sein", sagt Busse.

Öffentliche Debatte über Personalnotstand

Wie auch in anderen Bundesländern hat ver.di in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen eine öffentliche Debatte über den Personalnotstand und die Arbeitsbedingungen in den Krankenhäusern angestoßen und den "Mitteldeutschen Appell für mehr Krankenhauspersonal" initiiert. Die ver.di-Kolleginnen und -Kollegen haben dafür schon etliche prominente Unterzeichner gewonnen und gehen weiter mit Aktionen in die Öffentlichkeit. Zu den in dem Appell formulierten Forderungen gehört auch die nach einer besseren Krankenversorgung bei Vermeidung von Gesundheitsschäden der Beschäftigten. Das bedeutet: mehr qualifiziertes Personal. Eine gesetzliche Personalbemessung sei daher notwendig. "Mit der ,Bewegung Entlastung' für mehr Personal im Krankenhaus, die wir politisch, betrieblich und auch tariflich angehen wollen, möchten wir die Forderungen des Appells umsetzen", sagt ver.di- Landesfachbereichsleiter Bernd Becker. "Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es ohne verbindliche Regelungen nicht geht."

Wenn Edda Busse sich im Krankenhaus im altmärkischen Stendal im Büro der MAV die Sorgen der Kollegin anhört, die zum wiederholten Mal ihre freien Tage unterbrechen musste, um für eine erkrankte Kollegin einzuspringen, wird die Personalsituation ganz konkret sichtbar. "Die Kolleginnen sagen selten Nein, sie sehen ja die Notlage", sagt Edda Busse. Sie holt etwas weiter aus bei der Erklärung der Ursachen und beschreibt die vielschichtigen Gründe, aus denen sich solche Situationen ergeben.

Klar, das Geld für die Bezahlung des Personals ist der Dreh- und Angelpunkt. "Das im Krankenhausfinanzierungsgesetz festgelegte System der Fallpauschalen bestimmt, wie viel Geld die Kliniken pro Patient und Behandlung bekommen. Der Arbeitgeber muss dann austarieren, wie viel Personal er sich leisten kann und wie die Bezahlung des Ärzte- und des Pflegepersonals erfolgt. Und wer hat da die bessere Verhandlungsposition?" Die Frage beantwortet Edda Busse vorsichtshalber erstmal nicht.

Es sind so viele Probleme, die die engagierte Gewerkschafterin Busse umtreiben und die sie mit ihren Kolleg / innen diskutiert. Die jungen Leute, die im Stendal-Genthiner Johanniter-Krankenhaus ausgebildet werden, sehen vom ersten Tag an, wie es auf den Stationen zugeht. Sie wissen, was auf sie zukommt, wenn sich nichts ändert: hohe und weiter steigende Arbeitsbelastung, zu wenig Fachpersonal, nachts nur eine Kollegin oder ein Kollege auf der Station mit 35 Patientinnen und Patienten. Auch bei der eigenen Ausbildung fehlt ausreichend Personal für die notwendige Anleitung und Betreuung. Und die Auszubildenden begreifen schnell, wie schwierig es sein wird, eigene Vorstellungen von der Gestaltung der Pflege zu entwickeln und Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen.

Bildlich auf der Strecke geblieben

Im Johanniter-Krankenhaus Stendal-Genthin gibt es nicht nur die MAV. Auch ein Seelsorger für das Personal versucht zu helfen und einen Konsens zu finden, sagt Edda Busse. Sie selbst engagiert sich nicht nur als Vorsitzende der Mitarbei- ter/innenvertretung, sie ist auch aktiv im ver.di-Fachbereich Gesundheitswesen und im Steuerungskreis "Entlastung in Krankenhäusern". Dort sind sie sich einig, dass sie die Probleme angehen wollen.

Der Weg in die Öffentlichkeit ist nicht nur mit dem "Mitteldeutschen Appell" beschritten worden, Aktionen zum Tag der Pflege folgten, bundesweit machten Beschäftigte mit der Aktion Auf der Strecke geblieben bildlich die liegengebliebene Arbeit sichtbar.

ver.di-Sekretär Bernd Becker hat noch weitere Argumente für eine gesetzliche Personalbemessung: "Wir brauchen mehr Zeit für Ausbildung, damit die jungen Menschen gut qualifiziert werden können und nicht mehr, wie derzeit, viele die Ausbildung abbrechen oder nach der Ausbildung aus dem Beruf aussteigen." Schon jetzt sei zu beobachten, so Becker, dass viele Kolleginnen in die Teilzeit flüchteten oder vorzeitig in den Ruhestand gingen, um sich dem herrschenden Arbeitsdruck zu entziehen: "Das verschärft das Problem weiter."

Das Personalproblem und das dringende Erfordernis einer Entlastung haben alle Krankenhäuser. "Mehr von uns ist besser für alle" lautet deshalb der Slogan, der die Bewegung Entlastung mit nach vorn bringen soll. Im thüringischen Saalfeld wird am 19. Juni 2017 dazu eine Podiumsdiskussion mit der Gesundheitsministerin des Freistaats und einem Vertreter der Thüringer Krankenhausgesellschaft stattfinden.

www.klinikpersonal-entlasten-sat.verdi.de

Mitarbeitervertretung

In Einrichtungen der Kirchen gelten für die Beschäftigten weder das Betriebsverfassungs- noch das Personalvertretungsgesetz. Während die Belegschaften in Betrieben der Privatwirtschaft ihren Betriebsrat haben und im öffentlichen Dienst den Personalrat, wählen die Beschäftigten in kirchlichen Betrieben zur kollektiven Wahrnehmung ihrer Interessen aufgrund kirchengesetzlicher Regelungen eine Mitarbeitervertretung (MAV), die ähnliche Aufgaben, Rechte und Pflichten hat wie ein Betriebs- oder Personalrat.