Ausgabe 04/2017
Solidarität vor Gericht
So sehen Sieger aus! Nach der Gerichtsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht in Düsseldorf: die beiden ver.di-Sekretäre Özay Tarim (links), Andreas Rech (rechts) und Karl Selent in der Mitte
Der Wach- und Sicherheitsdienst ist für ver.di keine einfache Branche: Viele vereinzelte Arbeitsplätze an vielen Einsatzorten, innerbetriebliche Kommunikation ist kaum möglich, der Organisationsgrad gering. So auch bei der WISAG, dem mit 46.000 Mitarbeiter/innen drittgrößten Unternehmen in der deutschen Wach-, Sicherheits- und Gebäudereinigungsbranche.
Karl Selent ist Sicherheitsbeschäftigter und Betriebsrat bei der WISAG-Tochter "Sicherheit & Service Nord-West in Düsseldorf". Schon oft landeten Konflikte, in denen er seine Kollegen beraten hat, vor dem Arbeitsgericht. Das war auch bei seiner eigenen Eingruppierung der Fall - und noch während die beim Arbeitsgericht anhängig war, bekam er am 4. September 2015 zum ersten Mal eine fristlose Kündigung. Das Gericht entschied zu seinen Gunsten, die erste Kündigung war damit wieder vom Tisch, doch unmittelbar nach dem Urteil folgte die nächste. Diesmal warf man ihm vor, Artikel auf der von ver.di NRW verantworteten Webseite www.wasi-nrw.de verfasst zu haben. Absurd, denn dafür gab es nicht den geringsten Anhaltspunkt.
Immer wieder Nadelstiche
Aber die Kündigungen waren nicht die einzige Methode, mit der die WISAG gegen Karl Selent vorging. Nadelstiche kamen hinzu: In einem Fall bekam er die Kündigung gezielt an einem Freitag, um ihm das Wochenende zu verderben, in einem anderen Fall wurde er für Samstagvormittag um 11 Uhr zu einer "Anhörung" vorgeladen. Die Absicht war klar: Es ging um psychischen Druck und darum, ihn mit der Drohkulisse so zu "beschäftigen", dass ihm keine Energie mehr blieb, sich noch für seine Kollegen einzusetzen. Kampfbereitschaft sollte gar nicht erst aufkommen.
Dafür wurden auch Vorwürfe erfunden und sogar Belegschaftsmitglieder dafür benutzt. Einen Mitarbeiter brachte das Unternehmen dazu, gegen Karl Selent vor Gericht als Zeuge auszusagen: Der Zeuge habe Selent im Auto zu einer Sitzung mitgenommen, trotzdem habe Selent für diese Fahrt Reisekosten abgerechnet. Der Vorwurf des Abrechnungsbe- trugs stand im Raum, doch diese und alle anderen Kündigungsgründe hielten vor Gericht nicht stand. Die WISAG musste auch die zweite Kündigungsklage schließlich zurückziehen. Am Tag nach der erfolgreichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht im März 2017 erhielt Karl Selent die Aufforderung, an seinen Arbeitsplatz zurückzukehren. "Ich bin mehrere Monate arbeitslos gewesen", sagt er heute rückblickend. "Doch die Solidarität war großartig. Gewerkschaftssekretäre, Kolleginnen aus anderen Unternehmen, unsere Tarifkommission - alle standen hinter mir."
Konflikte in die Öffentlichkeit bringen
Andreas Rech, Gewerkschaftssekretär bei ver.di NRW, betont, mangels starker Präsenz in den Betrieben sei es notwendig, die Branche quasi von außen zu beobachten und für die Beschäftigten Anlaufstellen zu schaffen, "an denen sie jederzeit Verbindung mit uns aufnehmen können". Genau das ist die Aufgabe der Website www.wasi-nrw.de. Hier machte ver.di die Repression gegen Karl Selent öffentlich, hier wurde zur Solidarität aufgerufen. Der Zuschauerraum des Landesarbeitsgerichts war schließlich voll besetzt. "Die Verhandlung war nicht nur ein Erfolg für Karl, sondern auch für unsere Kommunikationsstrategie", so Rech. "Wir machen die Branche transparent und ermutigen auch Kolleginnen und Kollegen in anderen Firmen, sich nicht alles gefallen zu lassen." Die Erfahrung zeige: Gewerkschaftsmitgliedern werde inzwischen seltener gekündigt.
"Wir erzeugen Druck", ergänzt Özay Tarim, ver.di-Sekretär in Düsseldorf. Die Großen in der Branche lebten von öffentlichen Aufträgen. Wenn derartige Praktiken bekannt würden, bekämen sie schnell ein Imageproblem. "Und auch Ordnungsbehörden lesen unsere Website!"
Unterstützung der Politik gewinnen
Andrea Becker, die zuständige Fachbereichsleiterin bei ver.di NRW, sagt: "Nicht nur in der Sicherheitsbranche machen wir die Erfahrung, dass Arbeitgeber zwar Festreden über das ‚Erfolgsmodell Mitbestimmung' in Deutschland halten, in der Praxis jedoch nichts unversucht lassen, um Betriebsräten das Leben schwer zu machen." Deshalb komme dem Antrag, den SPD und Grüne im Oktober 2016 in den Landtag von NRW eingebracht haben, grundsätzliche Bedeutung zu. Darin geht es darum, "professionellen Akteuren, die die Arbeit von Betriebsräten behindern, das Handwerk zu legen", wie Günter Garbrecht (SPD) sagt, einer der Unterzeichner des Antrags. Die Zeit sei reif, durch den Gesetzgeber mehr Schutz für die Arbeit der Betriebsräte zu bieten, so Andrea Becker. Ohne Konfliktbereitschaft werde es jedoch auch künftig nicht gehen. "Daher kann Karl Selent beispielgebend sein."