Ausgabe 08/2017
Der Fluch des Billigflugs
Manager fliegen nicht raus, sie steigen mit guten Verträgen auf: Erst im Februar 2017 war Thomas Winkelmann als neuer Chef von der Lufthansa zu Air Berlin gewechselt. Wenige Jahre zuvor war er noch bei der Lufthansatochter Germanwings und sollte in der Unternehmenskommunikation auch die Konkurrenten Ryanair, Easyjet und Air Berlin im Auge behalten. Nun löste er Stefan Pichler ab, der einst von Fiji Airways kam. Winkelmanns Einstieg bei Air Berlin ist eine Ausgestaltung einer Kooperation mit Etihad Airways, der Staatsfluglinie der Vereinten Arabischen Emirate. Sein Millionengehalt ist vertraglich bis 2021 durch Etihad abgesichert, so geht es aus dem Geschäftsbericht für 2016 hervor. Die insgesamt 4,5 Millionen Euro liegen auf einem Treuhandkonto und sind vor einem Zugriff durch die Insolvenz geschützt. Der Wechsel von Winkelmann zu Air Berlin war für ihn ein Geschäft ohne Risiken, obwohl Air Berlin schon lange rote Zahlen schrieb.
Alles kalkuliert
Auch die Bundesregierung ist bei Air Berlin kein Risiko eingegangen. Der 150-Millionen-Euro-Kredit zur Stützung des Insolvenzverfahrens, der über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schnell gewährt wurde, wird von den Erlösen aus der Verwertung, also dem Verkauf, bezahlt. Das Geld wird folglich aller Voraussicht nach in die Staatskassen zurückfließen. Auch hier alles bestens kalkuliert.
Nicht so für die Beschäftigten. Für sie ist nichts sicher. Die Erlöse aus dem Verkauf von Teilen von Air Berlin werden wahrscheinlich nicht ausreichen, um die Löhne zu zahlen, vermutete Chef-Abwickler Frank Kebekus in einem Interview gegenüber der Süddeutschen Zeitung vom 9. November 2017. Tatsächlich wurde die überwiegende Zahl der Beschäftigten mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon "freigestellt". Allerdings mit dem Zusatz "widerruflich", was zu Problemen mit den Arbeitsagenturen geführt hat.
Während also die Millionen von Thomas Winkelmann sicher auf einem Treuhandkonto geparkt sind, obwohl er die Arbeitsleistung in den nächsten Jahren nicht mehr erbringen wird, bleiben die Beschäftigten auf der Strecke, sie müssen die Krümel nehmen. Entweder sind sie sofort arbeitslos oder sie können sich um dieselben Tätigkeiten bei den Nutznießern der Insolvenz bewerben, teilweise sogar zu schlechteren Löhnen und Bedingungen.
Personal abgespeist
Ungeachtet der Managementprobleme begründet Kebekus die Insolvenz mit einem massiven Kostenproblem. Es resultiere aus den Leasing-Gebühren für die Flugzeuge und zum Teil aus Löhnen, die nicht konkurrenzfähig gewesen seien. Diese Aussage lässt tief auf die Probleme einer Branche blicken, in der Flugzeuge und Manager mit Millionenverträgen hin- und hergeschoben werden und das Personal möglichst billig abgespeist wird. Was nach dem Absturz einer einzelnen Airline aussieht, ist symptomatisch für den Luftverkehr, der den Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten austrägt. Während sich die Managergehälter wie von alleine nach oben scheffeln, wird das letzte aus den Beschäftigten herausgepresst, werden sie ausgequetscht wie Zitronen, um die Produktivität immer weiter zu steigern.
Und das ist auch noch politisch gewollt: So hat die Deregulierung in der EU den Markt für neue Anbieter geöffnet und damit die starke Preiskonkurrenz unter den Fluggesellschaften erst ermöglicht. Low-Cost-Airlines setzen Fluggesellschaften, die nach Tarif bezahlen, massiv unter Druck. Und obwohl die Passagierzahlen Jahr für Jahr zunehmen, sinken die Beschäftigtenzahlen bezogen auf das Passagieraufkommen. Das heißt, immer weniger Beschäftigte fertigen immer mehr Fluggäste ab. Die Produktivität steigt. Die Arbeitsbedingungen werden immer schlechter. Löhne und Gehälter sinken zudem bei Umstrukturierungen und Ausgliederungen.
Unter diesem hohen Konkurrenzdruck litt auch Air Berlin, obwohl die seit 39 Jahren etablierte Fluggesellschaft in Deutschland an zweiter Stelle hinter der Lufthansa stand. Im europäischen Vergleich befand sich Air Berlin 2016 mit 47,01 Milliarden verkauften Passagierkilometern an zehnter Stelle, jedoch schon weit hinter der Billigfluglinie Ryanair, die mit 130,59 Milliarden Passagierkilometern an vierter Stelle stand oder beispielsweise Lufthansa, die mit 162,17 Passagierkilometern den ersten Rang belegte, so die Zahlen des Statistikportals Statista.
Crews ausgeflaggt
Und so funktioniert das knallharte Geschäft im Billigflug: Passagiere müssen jede Leistung extra bezahlen. Zudem nutzt die europäische Konkurrenz rigoros nationale Vorteile, um sich durchzusetzen. Durch das Ausflaggen ganzer Flugzeugcrews wird das Billigfliegen auf die Spitze getrieben. Vor allem Anbieter wie die irische Ryanair oder Norwegian Air haben bei den Fluggesellschaften faktisch transnationale Beschäftigungsmodelle etabliert, heißt es in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Das führt dazu, dass sogar komplett betriebsfremdes Personal eingesetzt wird.
So hat es auch die Billig-Airline Norwegian mit ihrem Kabinen- und Cockpit-Personal gemacht. Das Tochterunternehmen Norwegian Air International, das seinen Firmensitz in Irland hat, bedient seit 2014 interkontinentale Flugstrecken zwischen Europa, Thailand und den USA. In Irland hat die Fluggesellschaft ein gültiges Zertifikat bekommen. Damit kann sie Flüge als irische Fluggesellschaft anbieten, ohne den Firmensitz nach Irland verlagern zu müssen, und sie profitiert von den dort deutlich günstigeren Steuergesetzen. Zudem rekrutiert die Fluggesellschaft ihr Personal an finanziell günstigeren Standorten wie zum Beispiel Thailand. Das setzt gute Tariflöhne anderer Fluggesellschaften unter Druck.
Ruinöser Wettbewerb
Aus ver.di-Sicht ist die neoliberale Wirtschaftspolitik der EU-Kommission mit verantwortlich für die Abwärtsspirale bei Löhnen und Arbeitsbedingungen in der Luftfahrtbranche. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle kritisiert, die EU-Kommission habe anscheinend kein Interesse an Fluglinien, die tarifliche und faire Entlohnungs- und Arbeitsbedingungen gewährleisten. Die Folge dieser Politik sei ein ruinöser Wettbewerb. ver.di fordert qualitative Vergabekriterien, wenn nicht noch mehr Arbeitsplätze in Not geraten sollen. Nicht länger hinnehmbar sei das Zuordnen von Flugzeugen zu Briefkastenfirmen, um Steuervorteile zu erhalten. "Die EU muss von ihrer Politik der rücksichtslosen Liberalisierung und Deregulierung abrücken und stattdessen die Lebens- und Arbeitsverhältnisse der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen", fordert Behle.
Für die Beschäftigten bei Air Berlin käme das alles zu spät. Stattdessen tritt der Wettbewerb nun in eine neue Phase. Das Kartellamt muss zwar noch den Kauf durch Lufthansa genehmigen, doch wenn alles wie geplant verläuft, dann gehen 81 der 130 ehemaligen Air-Berlin-Maschinen an die Lufthansatochter Eurowings. Der irische Billigflieger Ryanair hat ebenfalls Wachstumspläne in Deutschland angekündigt. Und die britische Fluggesellschaft Easyjet übernimmt weitere 25 Airbus-Flugzeuge, um in das eingestellte Air-Berlin-Geschäft im deutschen Inlandsflugverkehr einzusteigen. Das Hauen und Stechen unter den billigsten Anbietern geht also munter weiter, solange die Politik nichts ändert. Bis zum nächsten Absturz.
Airlines ohne Herz
"Winkelmann und Spohr hauen uns übers Ohr", so stand es auf den Plakaten, so schallte es aus der Menge der Demonstranten. Rote Luftballonherzen, das Symbol der Airline mit Herz, flogen in den trüben Novemberhimmel. Und während längst klar ist, wohin die Maschinen gehen, und sich Lufthansa-Chef Carsten Spohr mit dem Kauf der Air-Berlin-Maschinen und den Slots ein Monopol sichert, sind die meisten der ehemals 8.200 Beschäftigten weiterhin in Not. Vor dem Bundestag demonstrierten sie deshalb gegen die sozialen Folgen der Insolvenz und fordern, als Betriebsübergang anerkannt zu werden. Zwar gibt es Angebote und Teillösungen, doch eine große Transfergesellschaft kam nicht zustande, weil sich Bund und Länder gedrückt haben. Und anders als von den Geschäftsführungen der Air Berlin oder Lufthansa behauptet, droht vielen der ehemaligen Air-Berlin-Beschäftigten die Arbeitslosigkeit, oder aber sie müssen sich auf die eigenen Arbeitsplätze bewerben, dann aber überwiegend zu niedrigeren Löhnen und schlechteren Bedingungen. Die Erwerber Lufthansa und Easyjet drücken sich vor einem ordentlichen Betriebsübergang nach Paragraf 613 a. Und die Bundesregierung hat es versäumt, die soziale Absicherung zur Bedingung zu machen, als sie den Millionenkredit zur Unterstützung der Insolvenz gab.