Als die vielbeschworene Zukunft der Drohnenbelieferung bei Amazon Einzug hielt, hatten die Vertrauensleute eine Idee: Das erste ausgelieferte Paket bringt einen Tarifvertrag für die Beschäftigten

Thomas Rigol arbeitet seit 2008 bei Amazon in Leipzig. Angefangen hat er - wie die meisten - als Picker und Aushilfe im Weihnachtsgeschäft. Danach erhielt er einen auf zwei Jahre befristeten Vertrag, legte sich mächtig ins Zeug und erreichte eine unbefristete Anstellung. Das System Amazon habe er recht bald durchschaut, sagt er. "Ich brauchte die Arbeitsstelle, wollte unbedingt die Entfristung. Da musst du dich wirklich reinknien, den Leistungsdruck und manch‘ merkwürdige Regelungen im Ablauf aushalten und bloß nicht krank werden." Heute hat er nicht nur einen unbefristeten Arbeitsvertrag, er ist inzwischen freigestellter Betriebsrat und ver.di-Vertrauensmann.

Nun will Thomas Rigol mit seinen Mitstreitern genau das verändern, was ihn selbst seit seiner Anfangszeit belastet. "Amazon geht an jedem neuen Standort ähnlich vor: Ausnutzen der Gesetzeslage bis an die Grenzen. Auf die Mitarbeiter wird großer Druck ausgeübt, Vorgesetzte vermitteln den Eindruck, dass sie dir ständig im Nacken sitzen, der alles registrierende Handscanner und die vielen Überwachungskameras verstärken das noch. Und schließlich kommt auch noch dazu, dass sich irgendwie ein Zwang entwickelt, sich auch noch ständig selbst zu überprüfen", sagt er. Seit 2010, nach der Entfristung, hat sich Thomas Rigol ver.di angeschlossen und kandidierte auch gleich für den Betriebsrat.

Betriebsrat Thomas Rigol

Amazon bewegt sich doch

Ein Blick auf die Lohnentwicklung lässt auch erkennen, Amazon hat sich bewegt: Die Stundenlöhne hat der Arbeitgeber von 7,76 Euro im Jahr 2006 beim Einstieg auf heute 10,52 Euro für Neueinsteiger angehoben, nach zwei Jahren Betriebszugehörigkeit steigen sie auf 12,22 Euro. Und Amazon zahlt jetzt ein Weihnachtsgeld von 400 Euro, so etwas hätte der Arbeitgeber in den Anfangsjahren locker ignoriert.

Was ist passiert? Amazon ist immer wieder in den Schlagzeilen. Kontinuierlich haben die engagierten ver.di-Kolleginnen und -Kollegen zusammen mit den Hauptamtlichen die Öffentlichkeit gesucht. In vielen Warnstreiks und Aktionen pochen sie darauf, einen Tarifvertrag zu bekommen, nicht den der Logistikbranche, sondern den des Einzel- und Versandhandels.

Sie beschreiben die Arbeitsbedingungen, den Arbeitsschutz, die Mängel bei der Arbeitszeitregelung und den Schichtdiensten, die oftmals respektlose Behandlung durch Vorgesetze und die unfairen Pausenregelungen. "Es ist noch immer so, dass die Pausenzeit am Arbeitsplatz beginnt und endet. Die langen Wege und das Anstehen und Passieren der Schleusen mindern die Erholungsmöglichkeiten drastisch", sagt Thomas Rigol.

Nicht nur die Streiks machen das öffentlich, ver.di begleitet jede Aktion mit Handzetteln, auf denen die Aktionen beschrieben werden und über Rechte und Möglichkeiten aufgeklärt wird. Das hilft den Kolleginnen und Kollegen dabei, das Verhalten des Arbeitgebers einzuschätzen.

Amazon ist finanziell nicht in die Knie zu zwingen, das wissen die ver.di-Kollegen. Und noch gelingt es dem Unternehmen, Arbeiten ins Ausland zu verlegen, wenn gestreikt wird. Aber all die Aktionen hinterlassen inzwischen nicht nur bei den Beschäftigten, sondern auch bei vielen Vertretern des mittleren und oberen Managements "Denkspuren", so Rigol.

"Ich bin mir sicher, sie können sich wohl nun auch einen Tarifvertrag für Amazon vorstellen, weil sie einfach aus den ständigen Schlagzeilen heraus und ein besseres Image als Arbeitgeber erreichen wollen, auch hier am Standort Leipzig. Gleiches diskutieren unsere Beschäftigten auch, und es ist vielen inzwischen egal, welcher Branche man sich anschließen soll, die Unterschiede verringern sich stetig. Kann ja auch ein Amazon-eigener Tarifvertrag sein, Hauptsache ist, wir können unsere Forderungen einbringen", sagt Thomas Rigol. Die Diskussionen haben sich verändert über die Jahre.

Druck lässt nicht nach

Der für den Standort Leipzig zuständige Gewerkschaftssekretär Thomas Schneider fasst es so zusammen: "Erst seit sich die Kolleginnen und Kollegen gewerkschaftlich organisieren, erhöht das Management regelmäßig die Löhne. Diese Wirkung kann man an allen Amazon-Standorten in Deutschland, aber auch in Polen feststellen. Darüber hinaus zwingt unsere Diskussion von innerbetrieblichen Themen das Management zu Verbesserungen, wie beispielsweise beim Thema Lüftung und Klimaanlagen."

Zudem ist die ständige Überwachung bei Amazon ein viel diskutiertes Thema. Thomas Schneider sagt: "Aus meiner Sicht ist es für Amazon ein völlig normaler Vorgang, alle Abläufe und auch alle Mitarbeiter in der täglichen Arbeit zu überwachen. Dem Ziel, den optimalen Profit zu erzielen, wird alles untergeordnet. Es gibt eine Unmenge Kameras, und nicht nur die Handscanner werden lückenlos ausgewertet. Dabei betont das Unternehmen immer wieder, sie hielten sich an die gesetzlichen Vorschriften und es gehe um Optimierung von Abläufen. Aber wenn ich zum Beispiel das Bewegungsprofil und die Taktfrequenz eines Handscanners auswerte, werte ich eben auch den aus, der mit dem Scanner arbeitet." Hier verschleiere und verharmlose Amazon Verstöße gegen den Datenschutz, so Schneider. Aus seiner Erfahrung ist der Amazon-Beschäftigte ein gläserner Mitarbeiter. Und zu Veränderungen sei Amazon ohne den entsprechenden Druck nicht bereit. Den wollen die aktiven Amazon-Beschäftigten in jedem Fall aufrecht erhalten.