Die Pflege steckt in einer Dauerkrise. Immer mehr Menschen sind auf Pflege angewiesen, der Bedarf steigt. Aber schon jetzt gibt es nicht genügend examinierte Pflegekräfte auf dem Arbeitmarkt – es herrscht Pflegenotstand. Einig sind sich Fachleute und Politik, dass die Rahmenbedingungen der Pflegeberufe verändert werden müssen. Strittig ist, wie das geschehen soll. In Hessen ist auf Betreiben der Grünen schon vor Jahren ein „Prüfauftrag“ für die Einrichtung einer Pflegekammer in den schwarz-grünen Koalitionsvertrag geschrieben worden. Von Ende Mai bis Ende Juni will jetzt – kurz vor den Landtagswahlen – das Sozialministerium per Online-Umfrage die Meinung der rund 57.000 hessischen Pflegefachkräfte zur Gründung einer Pflegekammer einholen.

Beteiligung ist wichtig

ver.di lehnt die Pläne zur Einrichtung einer Pflegekammer ab. Deshalb ruft der zuständige Fachbereich zur Teilnahme an der Umfrage auf. Georg Schulze-Ziehaus, Landesfachbereichsleiter Gesundheit und soziale Dienste: „Beteiligung ist wichtig. Denn das Umfrageergebnis wird maßgeblich für die Entscheidung des neuen hessischen Landtages darüber sein, ob alle hessischen Pflegefachkräfte zwangsweise Mitglied in einer Landespflegekammer sein müssen und Beiträge zu zahlen haben, ob sie wollen oder nicht.“ In Rheinland-Pfalz, wo die bundesweit erste Pflegekammer eingerichtet wurde (mittlerweile gefolgt von Schleswig-Holstein und Niedersachsen), liegen diese Pflichtbeiträge zwischen 117, 60 und 300 Euro im Jahr.

Es gibt auch andere Modelle, Pflegende berufsständisch zu organisieren. So setzt die „Vereinigung der bayerischen Pflege“ auf freiwillige Mitgliedschaft. In Hessen gibt es seit mehr als 20 Jahren den „Fachbeirat Pflege“, der das Sozialministerium in fachlichen Fragen berät. ver.di und die hessischen Pflegeberufsverbände arbeiten darin mit. Dort spricht die hessische Pflege – ohne Kammerzwang – in allen berufsfachlichen Fragen mit der Politik.

Darüber hinaus gibt es für ver.di auch an der zentralen Aufgabenstellung der Pflegekammer gewichtige Kritik. So soll sie zur Sicherstellung der Qualität in der Pflege eine Berufsordnung erarbeiten, aus der sich Berufspflichten ableiten. Für sachgerechte Pflege zu sorgen, ist nach Auffassung von ver.di aber Aufgabe des Staates. Warum sollten Pflegende dafür bezahlen, dass sie selbst überwacht werden?

Außerdem arbeiten Pflegende in der Regel in einem weisungsgebundenen Arbeitsverhältnis. Sie stehen unter der Kontrolle ihres Arbeitgebers. Auf ihre beruflichen Rahmenbedingungen haben sie, anders als Selbstständige, nur begrenzt Einfluss. Wie sollen sie gleichzeitig die Weisungen ihres Arbeitgebers befolgen und die womöglich anderslautenden Vorgaben der Pflegekammer einhalten? Im Zweifel kann eine Kammer immer nur fachaufsichtlich gegen Pflegekräfte vorgehen, die gegen ihre Berufsordnung verstoßen. Gegen einen Arbeitgeber, der durch ständig unterbesetzte Schichten Pflegefehler in Kauf nimmt, hat aber auch eine Kammer keine Handhabe.

Kammer ohne Einfluss

Um Qualität in der Pflege zu erreichen, müssen die Bedingungen stimmen. Das heißt vor allem: Personalbemessung, mehr Personal bekommen durch gesetzliche Personalmindeststandards und gute Bezahlung. Aber auf die Bezahlung hat die Kammer keinen Einfluss. Auch bei den Arbeitsbedingungen kann sie nicht mitreden.

Pflegeberufe brauchen dringend Aufwertung. Eine Pflegekammer ist dafür aber nicht das geeignete Instrument. Landesfachbereichsleiter Georg Schulze-Ziehaus hat dafür klare Worte: „Wir brauchen auch in Hessen dringend bessere Bedingungen in der Pflege: Durch gesetzliche Personalmindeststandards, durch flächendeckende Tarifverträge und durch ausreichende Refinanzierung der Pflege. Alles das sind Aufgaben, bei denen die hessische Landesregierung bisher nicht gehandelt hat. Eine Landespflegekammer ist aber keine Lösung der Probleme in der hessischen Pflege, sondern eine für die Betroffenen am Ende teure Symbolpolitik, die die wirklich notwendigen Veränderungen wieder einmal nur auf die lange Bank schieben würde.“

Darum: Mitmachen. Partei ergreifen. Abstimmen. Pflegekammer verhindern.

Fri


Johanna Bambeck, Gesundheits- und Krankenpflegerin, arbeitet im Zentral-OP am Universitätsklinikum Gießen und Marburg (UKGM)

„Die Politik hat aus der Gesundheit einen Markt gemacht. Aber der Markt regelt es nicht. Die Arbeitsbedingungen werden immer schlechter, überall fehlt Personal. Eine Pflegekammer kann daran rein gar nichts ändern. Das können wir nur selbst. Am UKGM haben wir mit ver.di einen Entlastungstarifvertrag erkämpft. So bewegen wir etwas.“


Clemens Zerfass, Krankenpfleger und Pflegelehrer am Klinikum Kassel

„Über den Fachbeirat Pflege haben wir in Hessen auch ohne eine Pflegekammer schon viel auf den Weg gebracht. So konnten wir hohe Standards in den Weiterbildungsordnungen festschreiben, zum Beispiel für Praxisanleiter sowie bei der Praxisanleitung der Auszubildenden. Das zeigt: Es geht auch ohne Pflegekammer mit Zwangsmitgliedschaft.“


Jutta Troharsch, Altenpflegerin, arbeitet im Incura Wohnpark Darmstadt-Kranichstein

„Die Probleme in der Altenpflege sind klar: zu wenig Personal und schlechte Bezahlung. Unsere Einrichtung ist nicht tarifgebunden, die Gehälter liegen um mehrere hundert Euro unter dem Flächentarif. Eine Pflegekammer hat darauf keinen Einfluss. Um gute Tarifverträge zu erreichen, brauchen wir eine gute Gewerkschaft.“