Ein wichtiges Korrektiv

Hamburger Abendblatt, 28. April 2018

Die Mai-Umzüge der Gewerkschaft wirken immer etwas aus der Zeit gefallen: Märsche mit Fahnen, den alten Weisen und Reden, gewürzt mit etwas Klassenkampf – da bedarf es schon einer großen Tradition, mit diesen Demonstrationen noch in die Medien zu kommen. [...] Die Bilder von brennenden Barrikaden, abgefackelten Autos und fliegenden Flaschen faszinieren im Fernsehen und im Internet stets mehr als Gewerkschafter. Möglicherweise ein Indiz, dass mit unserer Wahrnehmung irgendetwas nicht stimmt.

Die Gewerkschaften sind nicht so vorgestrig, wie mancher Umzug vermuten lässt; sie sind auch nicht weniger relevant, weil die Wirtschaft sich gerade in einer Hochkonjunktur befindet. Sie sind ein wichtiges Korrektiv. Am Dienstag demonstrierte die Gewerkschaft Ver.di in Berlin – und wies so auf ein Unternehmen hin, dessen Geschäftsgebaren diskutiert werden muss. Der Axel Springer Award ging zeitgleich an Jeff Bezos.


Lernprozess auf beiden Seiten

Neues Deutschland, 27. April 2018

Dass Linke und Gewerkschaften nun gemeinsam vor dem Springerhaus protestierten, ist eine neue Qualität und Ergebnis eines Lernprozesses auf beiden Seiten. In der Regel bleiben DGB-Gewerkschaften auf Distanz zu Unterstützern aus der außerparlamentarischen Linken, die wiederum großen Wert auf Abstand vor allem zu den Spitzen der Gewerkschaften legen. Der Vorwurf: Diese würden mit ihrer sozialpartnerschaftlichen Linie die Beschäftigten in den Staat integrieren. Es ist daher bemerkenswert, wenn der ver.di-Vorsitzende Frank Bsirske in Berlin unter dem zustimmenden Applaus der linken Aktivisten das breite Bündnis der Amazon-Solidarität würdigt.


Verdi dankbar sein

Staatsanzeiger Baden-Württemberg, 1. Juni 2018

Der Tübinger Gewerkschaftsexperte Werner Schmidt meint, dass die baden-württembergischen Unikliniken selbst schuld seien, dass sie gegen die Dienstleistungsgewerkschaft mit ihren zwei Millionen Mitgliedern einen schweren Stand haben. Sie hätten ihren ursprünglichen Arbeitgeberverband, die Tarifgemeinschaft der Länder, ja nicht verlassen müssen. [...] Thomas Schulten, Tarifexperte bei der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, ergänzt, die Wirtschaft könne „Verdi dankbar sein“, dass sie Themen wie Gesundheit und Mindestbesetzung auf die Agenda setzt. Dass viele Tarifverhandlungen parallel liefen, sei „das normale Geschäft”. Auch den Hinweis auf die Kostendeckelung im Gesundheitswesen lässt Schulten nicht gelten. Das Geld sei da, ob für Steuererleichterungen oder für öffentliche Einrichtungen, entscheide die Politik.